Donnerstag, 23. Dezember 2010

Auf Wiedersehen bei "Pay rates of the Carribean" Ende Januar 2011

Der Blogger sitzt im Cruising Club am Strand und guckt Monsterwellen zu, die das Herz der SurferInnen höher schlagen lassen und allen, die im Dinghy von ihrem Mutterschiff aus an Land gehen müssen, den blanken Schrecken einjagen. Wir haben es geschafft. Die Laptops waren wasserdicht verpackt in einer speziellen Gummitasche, ein Billig-Angebot von Aldi Schweiz letztes Jahr.
Inzwischen hat die Personalabteilung von Miranda die Ueberzeitguthaben ausgerechnet und der Blogger hat einen zweiten Schrecken eingejagt bekommen: Es haben sich soviele Kompensations- Frei- und Ferientage zusammen geläppert wegen der Nachtwachen und der Sonntagsarbeit unterwegs über den Atlantik, dass nun Zwangferien angesagt sind. Wir melden uns wieder Ende Januar 2011 - dann mit einer neuen Staffel unter dem Titel "Pay rates of the Carribean". In der Zwischenzeit gibt es jede Menge Encore-Präsentationen. Klickt auf irgend einen Monat im 2010, und erlebt noch einmal, was wir erlebt haben.

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Barbados - Wassertemperatur 29.8 Grad

Nach 21 Tagen auf See und 1987 Meilen sind wir auf Barbados angekommen: Unsere Miranda II liegt in der Carlisle Bay, das Wasser ist 29.8 Grad warm. Und in der Strandbar sagt uns ein Heineken-Kühlschrank, dass es in seinem Innern minus 22 Grad kalt ist. Perfekte Verhältnisse, würde ich meinen, um ein buntes Weihnachtsfest zu feiern.

Wir sind etwas erschöpft und werden uns nun ein paar Tage lang erholen. Nach Weihnachten geht es dann aber los mit den Reparaturen. Wir haben Probleme mit der Batterieladung, weiter spielt der Generator den faulen Hund und liefert nur noch 0.2 amp. Dann haben wir neue Probleme mit dem hydraulisch verstellbaren Ruder: Es lässt sich nur noch nach unten festellen, aber nicht mehr hydraulich hochziehen. Für eine Reparatur müssten wir das Boot auswassern. Mal sehen.

Samstag, 18. Dezember 2010

Passatwolken bringen Regen und Segen

Die Passatwölkchen können auch anders. Sie tun sich nämlich seit ein paar Tagen gegen Abend zusammen, um uns dann als dunkle Wolken von hinten zu überholen und dabei einen warmen Regen abzulassen. Das Süsswasser rinnt dann am Segel hernter und wir könnten es sammeln, wenn wir knapp wären.

Dass schlechtes Wetter von Osten kommt, ist für uns gewöhnungsbedürftig. Dank diesem Schub mit jeweils stark zunehmenden Winden machen wir Meilen wie noch nie. Wir knacken heute Vormittag die 300er Limite. Auch die Menukarte lässt sehen. Wir haben einen Mahimai gefangen und die Filets gleich in Zitronensaft und und etwas Olivenoel eingelegt. Nach einer Stunde waren die kleienn Stücke mariniert und die Skipperin hat ein geheimes Lager freigegeben, wo Weisswein lagerten. Der perfekte Apéro.

Freitag, 17. Dezember 2010

Bonus-Meilen

Das Meer hat sein Meilenprogramm für Vielsegler verbessert. Im Moment bekommen wir für vier gesegelte Meilen eine Bonus-Meile dazu. Anders gesagt: Die Strömung schenikt uns pro Tag gut 20 Meilen, und wir kommen pro Tag vier Stunden schneller zum Ziel als ohne die Bonusmeilen.

Ihr seht, liebe Leserin, lieber Leser: Wir können es kaum mehr erwarten, bis wir ankommen in Barbados. Wir "plangen" auf die Ankunft, wie man auf Schweizerdeutsch sagt, ein Gefühl, das ich als Kind kannte vor Weihnachten. "Er mag fascht nüme plange", sagte dann meine Mutter. Der Begriff beinhaltet viel mehr als das hochdeutsche "Er kann es fast nicht mehr erwarten" Im "plangen" steckt das Gefühl, dass die Zeit unerbittlich langsam fliesst, ohne jede Spur einer kürzer werdenden Dauer. So ist das bei uns. Doch wir kommen gut voran und knacken jetzt dann die 400-to-go-Meilen-Grenze - dank Bonus-Meilen schneller als erwartet.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Sehr geehrter Herr Foerthmann

haben Sie vielen Dank für Ihre guten Ratschläge in den letzten zwei Tagen. Dass der Hersteller von sich selbst sagt, er sei immer nur ein Klick weit weg, ist schon eine ungewöhnlich hevorragende After-sales-Betreuung. Der Chef von Windpilot ist - verzeihen Sie das missratene Sprachbild - ein leuchtender Stern am dunklen Firmament nicht gehaltener Garantieversprechen.

Wir haben inzwischen das Paddel senkrecht gestellt, was die Steuersignale verbessert hat. Für die Rutschkupplung am Radadapter haben wir einen Murks gemacht. Wir nehmen ganz einfach eine Schraubzwinge, wo die Flügelmütter (oder sind es -muttern?) nicht richtig zupacken wollen. Und siehe da: es geht. Aber das Foto von dieser Gewaltanwendung wollen Sie dann sicher nicht in den Prospekt aufnehmen.

Punkto Steuergenauigkeit reiht sich unsere Ovni nun also wieder in jene 200 Schwesterschiffe ein, die ebenfalls mit Ihrem Windpilot unterwegs sind und auf die Sie gut und gerne stolz sein können.

Ich hoffe, dass ich Sie einen Mausklick weit weg nicht mehr erreichen muss vor unserer Ankunft in Barbados und wünsche Ihnen deshalb schon jetzt schöne Festtage und ein erfolgreiches Neues Jahr.

Mit herzlichem Gruss
Thomas Rüst
SY Miranda II
13-03 Nord und 48-40 West.

Montag, 13. Dezember 2010

der Lohn fürs Handsteuern

Das kleine Tief ist über uns hinweggezogen, die Wellen sind zurückgegangen und nun zeigt sich, dass ein Radadapter der Windsteuerung das Problem sein könnte. Die Kupplung dort, eingerichtet für die extremen Wellen der letzten Nacht, rutscht nun auch bei normalen Verhältnissen. Der Erfinder unseres Windpilots, Peter Foerthmann, den wir kontaktierten, hat in no time zurück geschrieben und erste Ratschläge gegeben. Nun wollen wir weiter sehen.
Zu dritt steuern wir weiterhin im Rhythmus zwei Stunden auf der Brücke, vier Stunden Pause. Das ist einigermassen erträglich. Nur zu zweit wäre es pickelhart. Der Lohn der Plackerei: Das beste Etmal so far: 133 Seemeilen in 24 Stunden näher am Ziel.

Sonntag, 12. Dezember 2010

999 miles to go

Während ich dies schreibe, ist die Party noch im Gange. Um 13.14 Uhr Bordzeit (16:14 Uhr MEZ) haben wir den tausender Meilenstein geknackt. Erstmals zeigt das GPS eine dreistellige Zahl bis zum Ziel an: 999 Meilen sind es noch. Der Champagner fliesst in Strömen, mindestens verglichen zum Champagner, der in den vergangenen zwei Wochen floss (Null).


Die Crew im Moment nur halb-happy: Wir haben seit drei Tagen mit Wellen zu kämpfen, die unserer Windsteuerung und somit auch uns zu schaffen machen. Meist müssen wir von Hand steuern oder mindestens dem Zephir helfen, wenn Wellen unter uns durchtosen. Auch sind wir zu weit südlich geraten, haben nun eine Halse gemacht und segeln vom 11. BReitengrad wieder Richtung 13. Breitengrad.

Freitag, 10. Dezember 2010

Der Mond auf Facebook

Wäre der Mond auf Facebook, wir hätten ihn vermisst wie jene friends, die täglich Einträge machen und dann kommt plötzlich für Tage nichts mehr. Genau so war es mit dem Mond: einfach nichts mehr zu lesen von ihm. Jetzt gestern hat er sich gemeldet mit einem Eintrag: "Hallo, guckt mich an hoch am Himmel, bin zu einem Viertel zunehmend." Das hat jenste "like" gegeben und von mir den Kommentar: "Wir haben Dich echt vermisst; so dunkel können nur Nächte sein, wenn Du nicht am Himmel bist."

Noch von einem andern imaginären Facebook-Friend gibt s zu berichten, von Zephir. Unsere Windsteuerung brilliert mit dem Eintrag: "Wann sind wir endlich da? Dieses Steuern ist mir zu blöd." Und ganz so benimmt er sich: Jede Welle ist ihm zuviel, jeder Windstoss für ihn eine Zumutung. Wir haben heute Vormittag alle möglichen Segelstellungen ausprobiert und sind nun beim Schmetterling (beide Segel ausgeklappt) gelandet, das Grosssegel im 4. Reff, nur so geht's, 3. Reff war nicht genug Druck-Verminderung. "Thank God it's Friday" schreibt Zephir nun auf Facebook, hat auch jenste "like" gegeben und von uns den Kommentar: Wart erst bis Sonntag!"

Am Sonntag nämlich gibt's gleich mehrere Feten: Erst feiern wir Kartenwende. Wir drehen die Atlantikkarte auf die andere Hälfte und sehen dann nicht mehr, woher wir kommen (Kapverden), sondern wohin wir segeln, nach Barbados. Wir haben also das Ziel vor Augen. Gleich danach feiern wir 999 MILES TO GO, traditionell mit Champagner und erstmals gibt's dazu eine Paté aus dem Périgord, die Danielle uns mitgegeben hat. Praktisch zeitgleich steigt die dritte Party: Der 993er Meilenstein fällt, wir haben die Hälfte hinter bzw. genau die zweite Hälfte der Seereise vor uns.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Ein gerissenes Steuerkabel

In den Top Ten der fatalen Ereignisse ist die Gasexplosion wahrscheinlich die Nummer 1, knapp gefolgt vom Mastbruch und dem Leck. Der Bruch des Steuerkabels folgt weiter hinten, aber sicher noch in den ersten zehn. Ein solcher Kabelbruch ist uns passiert: Um 9 Uhr gab es einen Knall und ich spürte, dass das Rudel nicht mehr griff, bzw. das Steuerrad leer drehte. Jean-Pierre trimmte sofort die Segel, damit das Boot sich mit der Genua behelfsmässig selbst steuern würde. Ich legte den Stopfen für die Notpinne frei und installierte sie. Ebenso eine Verlängerung, welche wir machen lassen hatten, nachdem wir schon einmal einen Kabelbruch hatten. Damals, vor 5 Jahren, zeigte, sich, dass die Notpinne zu schwergängig war bei etwas Seegang.

In der Folge nun steuerte Jean-Pierre das Boot mittels Notpinne und ein paar erfindungsreich gelegter Leinen, die die Handarbeit leichter machten. Ich demontierte den Kompass und den Tisch, dann das Piedestal, entfernte Bodenbretter und eine Aluplatte, um an den Ruderquadranten zu kommen. Dann legte ich Behelfsleinen durch die Steuersäule und zog mit ihnen das neue Ersatzkabel gekreuzt durch das Piedestal, ein solches Ersatzkabel hatten wir immer an Bord für genau diesen Fall.

Das tönt nach Easy-Reparatur, hat aber sechs Stunden in Anspruch genommen. Agnes war die zuverlässige Operationsschwester, die immer die genau richtigen Werkzeuge und die Tupfer (für das Gesicht des Chirurgen) bereit hielt. Weil wir ziemlich Wellen hatten, war die Arbeit sehr mühsam und um 16 Uhr, als das neue Kabel zu bester Zufriedenheit steuerte, war ich total erschöpft. Ich wusch die schwarzen Hände mit WD-40; beim Apero dann stiessen nicht wie sonst immer auf die „Frauen und die Pferde" an, sondern sagten zueinander kleinlaut: „A la prochaine merde."

Fazit: Schuld an der Misere ist natürlich der Skipper, der den vorbeugenden Unterhalt vernachlässigt und aus dem ersten Ereignis vor fünf Jahren offensichtlich nichts gelernt hatte. hatte. Das Kabel hatte 7500 Seemeilen in den Sehnen, nach 5000 hätten wir es in einem ruhigen Hafen auswechseln sollen. Die Lehren daraus für alle SkipperInnen, die Radsteuerung haben wäre i nFrageform die folgenden: Wieviel Meilen hat Euer Steuerkabel hinter bzw. noch vor sich? Habt Ihr ein Ersatzkabel an Bord? Wenn ja, wisst Ihr wie installieren (die meisten Kabel gehen übers Kreuz, sonst ist es, wie wenn man beim Auto für eine Rechtskurve nach links drehen müsste)?
Letzte Frage noch: Was passiert auf der „Miranda II", wenn auf unseren letzten 1400 Meilen auch das neue Kabel reisst? Antwort: Für diesen Fall der Fälle haben wir ein altes Kabel mit geflickter Kette an Bord – und dann also wieder sechs Stunden Maloche vor uns

Dienstag, 7. Dezember 2010

Information der Züri-Linie

Die Leitstelle der VBZ beschäftigt sich nicht nur mit Streckenblockierungen und Fremdkollisionen. Sie überwacht auch unsere Batteriewerte, die leider - was den Spottracker anbelangt - schlecht sind, sodass wir die Frequenzen einschränken müssen.

Nun hat sich die Leitstelle heute Vormittag aber total quergstellt und sich geweigert, den Tram- und Buspassagieren die entsprechende Information über die Spottrackerblokierung durch Fremdbatterien zu melden. Wir sind deshalb gezwungen, unseren Blog für eine solche Meldung zu missbrauchen. Hier ist sie: "Information der Züri-Linie. Batterieprobleme im Bereich Spot Tracker von Miranda II. Wegen zu schwacher Batterien wird die Frequenz der Spotmeldungen in den kommenden Tagen vermindert sowie nachts und ausserhalb der Stosszeiten ganz eingestellt. Wir bitten um Verständnis. (Kkkkriiiiickkk)" Zur Ergänzung noch: Der Spottracker arbeitet nur ausdauernd mit Lithium-Batterien. Alkline-Batterien säuft er in 24 Stunden leer, was selbst unsere bedeutenden Vorräte an AA-Batterien auf eine harte Probe stellt. Im Gegensatz zur VBZ bitten wir nun aber nicht um Ihr Verständnis, sondern fordern Sie auf, Ihrem Unmut freien Lauf lassen. Danke.

Hier noch die Adresse des Spot-Trackers: http://bit.ly/b5feTY.

Montag, 6. Dezember 2010

Im Passatwind

Seit zwei Tagen sehen wir am Himmel lauter Schönwetterwölkchen, ein äusseres Zeichen, dass wir den Passatwind erreicht haben. Dieser stösst uns nun unter Spinnaker auf direkter Route nach Barbados. Gestern noch sahen wir das nördliche Ende des Passatgürtels, wo die Wölkchen aufhörten. Heute sind wir gut 100 Meilen südlich vom oberen Rand des Gütels, fast soviel, wie Jimmy Cornell empfiehlt, der das ultimative Buch für Atlantiküberquerungen "The Atlantic Crossing Guide" geschrieben hat.

Die Wolken haben nicht immer die gleiche Grösse, manchmal sind sie putzig klein, dann tun sie sich zu dunkelgrauen Gebilden zusammen, dann wieder klafft ein riesiges Wolkenloch über uns. Nachts sind sie nur insofern sichtbar, als sie den Sternenhimmel verhüllen. Wir sind seit Tagen ohne Mond, und entsprechend dunkel ist es während den Wachen.

Dank dem ziemlich beständigen Passatwind kommen wir gut vorwärts und haben das erste Mal wieder über 100 Meilen gemacht in 24 Stunden. Der Meilenzähler zählt von 1987 (Start auf Kapverden) zurück; heute sind wir sozusagen im 17. Jahrhundert, nämlich bei 1628. Am Anfang wusste ich zu den meisten Zahlen noch geschichtsträchtige oder auch nur private Ereignisse – 1986 Perestrojka, 1894 das Geburtsjahr meines Grossvaters, dann die Französische Revolution. Doch je näher wir nun dem Mittelalter kommen, desto weniger Wissen habe ich in petto. Der Geschichtslehrer damals hat uns als Persönlichkeit in seinen Bann gezogen und deshalb verehren wir ihn noch heute. Jahreszahlen und Buchwissen hingegen sind total verloren gegangen.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Meine Erfahrungen mit dem Sextant

Vor ein paar Jahren hatte mir Agnes einen Sextanten geschenkt, einen der besten, die es gibt, einen Freiberger Sextanten nämlich aus deutscher Wertarbeit. Der Sextant ist ein optisches Gerät, mit dem Seefahrer während Jahrhunderten den Winkel zwischen der Sonne und dem Horizont gemessen haben. Zusammen mit der genauen, einer Chronometer-Zeit und ein paar Tabellen ist es mit dem gemessenen Winkel sodann möglich, die genaue Schiffsposition zu ermitteln. Der Sextant ist bzw. war so wichtig, dass Kapitäne und die Führer von Piratenschiffen gleichermassen den Verlust ihres Augenlichts in Kaufe nahmen, wenn sie für die wichtige Positionsbestimmung die Sonne in ihrem Winkelmessgerät suchten. Das hatte sogar Konsequenzen für den Kunstbetrieb: die Seefahrer sind auf den Bildern alter Maler meistens mit einer schwarzen Augenklappe über einem erblindeten Auge zu sehen.

Diese Vorrede ist deshalb so lang geworden, weil es mir ausserordentlich peinlich ist, über meine eigenen Versuche mit dem Sextanten zu berichten: Ich begann erst einmal zu Hause zu üben. Da Zürich weit weg vom Meer liegt, musste ich einen künstlichen Horizont zu Hilfe nehmen. Der Verlust des Auges war hingegen nicht mehr zu fürchten, da bei modernen Sextanten längst sog. Schattengläser vor die Spiegel angebracht sind. Man sieht dann beim Gucken durch das kleine Fernrohr die Sonne als helle Scheibe, als wäre sie hinter einer dünnen Wolkendecke.

Meine Messergebnisse waren durchs Band und trotz x-Wiederholungen verheerend, auch neue Versuche an Meeresküsten und bei Bootsfahrten in der Bretagne führten zu keinen ermutigenden Ergebnissen. In Zürich lag meine Position statt in der Stadt jeweils irgendwo im Luzernischen oder sogar bei Stuttgart – in der Bretagne waren die Differenzen ähnlich krass. Ich kaufte dann einen kleinen Rechner (Celesticomp), da ich mich immer wieder bei banalen Rechenfehlern ertappt hatte. Und liess einmal sogar den Sextanten von einem Spezialisten überprüfen, der das kostbare Gerät abholte und einen Tag später wieder an meiner Haustür ablieferte. Alles nützte nichts. Das ärgste war, dass offenbar nur ich das Problem hatte, wie ich erfuhr, wenn ich erfahrene Sextantisten ins Vertrauen zog.

Die neue Seereise jetzt Richtung Barbados sollte die letzte Gelegenheit sein, die peinliche und unglaubliche Sache in Ordnung zu bringen. Gestern fasste ich zum erstenmal Mut und las nochmals die Bedienungsanleitung des Rechners durch. Ich entdeckte dort zu meiner Überraschung eine Passage, die ich bisher nicht richtig wahrgenommen hatte: In einem Absatz der Anleitung stand, man müsse zwischen zwei Messungen genügend Zeit verstreichen lassen, damit die unterschiedlichen Linien mindestens einen Winkel von 30 Grad ausmachten. Sonst sei die Ungenauigkeit so gross, also ob man mit einem stumpfen Bleistift zwei weite Winkel ziehen würde, deren Striche sich dann total unscharf überschneiden.

Ich liess also zwischen der ersten und der zweiten Messserie vier Stunden verstreichen, gab dann die Daten in den Celesticomp ein, dessen Software noch altmodisch eingebrannt ist in sogenannte Eproms. Und siehe da: Ich erhielt eine Position von 14 Grad und 24 Minuten Nord und 29 Grad 10 Minuten West. Das war genau 20 Meilen von der GPS-Position entfernt. Grosser, nicht endenwollender Applaus der Crew, welche zur Belohnung ein Mittagsbier spendierte.

In Kapitänskreisen sind natürlich 20 Meilen ein lediglich passables Resultat, gewiegte Seefahrer schiessen die Sonne auf 5 Meilen genau auch bei Seegang. Für mich aber sind die 20 Meilen eine unendliche Erleichterung und eine grosse Ermunterung, an mir zu arbeiten, wie man in einer Psychotherapie sagen würde. Höhepunkt wäre, dereinst einmal ganz auf den Rechner verzichten zu können und allein mit den Tabellen und mit Kopfrechnen vorzugehen. Allerdings müsste ich dann noch lernen, beim Addieren und Subtrahieren (behalte 1 und dergleichen) keine Fehler mehr zu machen. Soweit meine Erlebnisse mit dem Sextanten und damit herzliche Grüsse aus den selbstgemessenen N14-20 und W029-10.

Freitag, 3. Dezember 2010

Advent, Advent...

Um bei 30 Grad im Schatten doch noch zu ein bisschen weihnachtlichen Gefühlen zu kommen, haben wir heute beim Niedergang einen Adventskalender aufgehängt. Wer immer vom Innern des Boots hinaufsteigt ins Cockpit oder herunter kommt, kann an der Zahl der geöffneten Türchen erkennen, wie lange es noch dauert bis zum Fest.

Der Kalender zeigt allerdings eine für mich total merkwürdige und ungewöhnliche Szene. Im Zentrum des Bildes steht ein Postamt, das sich nicht in einem Gebäude befindet, sondern das als Marktbude mitten auf der Strasse in einem Stadtquartier mit älteren Wohnbauten aufgestellt wurde. Es ist Nacht, die Zimmer aller Wohnungen sind hell erleuchtet. Vor dem Postamt haben sich Kinder versammelt, die bei Engelsbeamtinnen Briefe aufgeben. Die Post wird dann an Himmelsboten, ebenfalls Engel, weiter geleitet, welche vom schneebedeckten Dach der Marktbude aus starten. Sie haben alle schwere schwarze Mappen bei sich, gewinnen aber trotz der Last bei ihrem Flug über die Dächer rasch an Höhe.

Die ganze Szenerie mit diesem nächtlichen Budenpostamt hat etwas leicht Unheimliches. Und ich wusste lange nicht warum. Plötzlich merke ich, was mich innerlich irritiert: Es sind keine Erwachsenen zu sehen in dieser Kinderstadt und man ahnt oder fürchtet, dass sie sich wohl alle in den Wohnungen aufhalten (aufhalten müssen?), in all den Zimmern, für deren helle Beleuchtung es ein Obligatorium zu geben scheint.

Vielleicht hat der Kalender aber auch überhaupt nichts Unheimliches, wenn er nur nicht bei 30 Grad im Schatten betrachtet würde, sondern in einer ganz normalen winterlichen Atmosphäre zu Hause in der vorweihnachtlichen Schweiz in einem gut geheizten und ebenfalls gut ausgeleuchteten Wohnzimmer. Denn unser Problem ist: Wir leben hier auf dem Atlantik ohne alle üblichen gesellschaftlichen Adventsattribute: wir sehen keine TV-Spots, die mit weihnachtlicher Musik untermalt sind; wir gehen nicht an festlichen Auslagen vorbei in der Stadt mit ihrer Lucy; wir haben keine eigenen Geschenkpläne und müssen auch nicht ans Weihnachtsessen des Arbeitgebers.. Es ist einfach unmöglich, hier auf dem 15. Breitengrad irgend etwas Weihnachtliches zu spüren.

Das gleiche gilt für den Winter: Herzlichen Dank allen, die uns Mails geschickt haben mit Nachrichten über Schneeverwehungen, über umgekippte Autos, die Bise und Minustemperaturen. Aber bei aller Empathie will sich einfach kein Mitgefühl einstellen, weil der Winter für uns so schwer vorstellbar ist wie für alle von uns, wenn wir im Juli in der Schweiz im Schwimmbad sind. Sommer und Winter – das kann man nicht nachfühlen, nur selbst erleben. Aber einen Adventskalender zu haben bei 30 Grad ist trotzdem eine schöne Sache.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Das Lotto-System von Diviano

Diviano hält mir am Eingang zur Marina ein Blatt Papier unter die Nase mit quadratischen Feldern, auf denen Mädchennamen enthalten sind. Er erklärt mir, es handle sich um eine Lotterie und ich könne 60 Escudos auf einen Namen setzen, indem ich meinen Namen in eines der Felder schreibe. Gesagt getan.

Den Namen des gewinnenden Feldes, so erklärt der Lotteriebetreiber weiter, werde er dann aufrubbeln, eigentlich aufschneiden, denn der Gewinnername versteckt sich unter einem kleines Stück Stoff, das auf das Blatt Papier aufgenäht ist. Und wann findet die Ziehung statt? Antwort: Wenn alle Felder voll sind.

Dieser Hinweis zeigt einmal mehr, dass Lotterieteilnehmer Mitglied einer Solidargemeinschaft sind. Das gilt genau so für das Schweizer Zahlenlotto wie für die kleine Schicksalsgemeinschaft, die bei Diviano auf Namen setzt und der ich nun angehöre. Mir gefällt das System, mal abgesehen von der unabsehbaren Frist bis zur Ziehung. Es liesse sich auch im Internet anwenden mit SMS etc.

Diviano sagt, wahrscheinlich werde am kommenden Tag der Gewinner ermittelt, der übrigens eine Flasche Rum bekommen soll. Später sagt mir mein lokaler Guide, dass Diviano auch Kleinkredite an Kollegen vermittle; er gelte als Kredithai, weil er Schulden unnachsichtig zurückfordere. Das ist bei den Banken nicht anders, denke ich. Und so wäre Diviano, hätte er andere Lebenschancen, wohl Investmentbanker geworden und ich hätte ihm ein strukturiertes Produkt abgekauft.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Ein Zwischenstopp auf den Kapverden

Für alle Fälle hatten wir eine gute Seekarte an Bord und genaue Beschreibungen über die Ansteuerung des Hafens von Mindelo auf Sao Vincente, einer kleinen Insel der Gruppe der Kapverden. Sonst aber wussten wir nichts von den Kapwerden. Wir hatten ja nicht geplant, dort einen Zwischenstopp zu machen und uns ergo auf das Land auch nicht vorbereitet.

Was will man eigentlich als erstes wissen, wenn man umständehalber (das ist genau das richtige Wort) nachts ankommt und dann am ersten Morgen erwacht und in einer (modernen) Marina um sich guckt? Antwort: Man möchte als erstes wissen, wie spät es ist. Ein Franzose nebenan gibt uns die Zeit. Und nachdem nun die Uhren 1 Stunde zurückgestellt sind, kann das Leben seinen Lauf nehmen: Aha, ein Wachmann patrouillert auf dem Steg. Was das wohl heissen mag? Also ist wohl Vorsicht geboten.


Zuerst muss ich aber jetzt zum Zoll. Und dies generiert die zweite Frage: Wo ist die Einwanderungsbehörde? Die Antwort weiss Adilson. Den 33jährigen habe ich als lokalen Guide angestellt; und er führt mich nun effizient durch drei Behördenbüros und übersetzt die Fragen der Beamten, die meine bescheidene Anwesenheit in ihrem Land so genau nehmen wie ein Schweizer Notar die Verschreibung einer Liegenschaft. Nach dem Behördengang geht’s zum Supermarkt. Adilson hilft mir, die 100 Liter Mineralwasser tragen, der wichtigste Grund unseres Aufenthalts in seinem Land. Dann geht’s weiter zur Tankstelle, um Diesel aufzufüllen, dann zur Bank, um das Portemonnaie aufzufüllen. Adilson kennt sich aus, ist umsichtig - und erzählt sozusagen nebenbei von seinen Geschwistern (fremdarbeitend in Europa), seinem siebenjährigen Sohn und dass er keinen Fernseher hat zu Hause, weil er sich das nicht leisten kann.
Das Leben in Mindelo wird im Atlanic Crossing Guide als Mischung zwischen Portugal und Afrika geschildert. Mehr Afrika, würde ich sagen. So sehe ich zum erstenmal in meinem bald 59jährigen Leben Frauen, die Sachen auf dem Kopf tragen. Eine von ihnen verkauft feine kleine Pizzen für 10 Escudos, das ist umgerechnet 1 Rappen. Die Bäckerin behandelt ihre Strassenkunden mit grösster Aufmerksamkeit, jeder kriegt für den Preis noch eine kleine Serviette zur Pizza. Und ich rechne schnell nach und komme darauf, dass man für 1 Käschüechli am Bahnhofbuffetkiosk in Zürich hier 250 Pizzen und 250 Servietten kriegen würde. Wie machen das solche Gewerblerinnen finanziell, wenn sie 1 Rappen bekommen und davon noch die Zutaten (Mehl, Hefe, Zwiebeln, Tomaten etc) berappen müssen? Ich weiss es nicht, aber ich finde: Man könnte nach der Steuergerechtigkeitsinitiative mal eine Pizzagerechtigkeitsinitiative lancieren. Ich wette, es gäbe ein weltweites Ja und kein Nein wie am letzten Sonntag in der Schweiz.

Dienstag, 30. November 2010

Zick und Zack

Alle, die uns auf dem Spot-Tracker zuschauen, werden sich wundern über unsere Richtungswechsel. Der Grund: Wir haben wenig Wind und der bläst ausgerechnet von dort, wo wir hin müssen. Ergo müssen wir schrläg zum Wind segeln, kreuzen wie man sagt. Doch genau das tut Miranda nicht gerne. Sie hat einen Schwenkkiel, der zu wenig Hebelwirkung aufbringt, um nahe an den Wind zu gehen. So haben wir in zwei Tagen ganze 90 Seemeilen in die richtige Richtung gemacht. Der Rest war Zickzack-Kurs - und dies eben mit sehr flachen Zicks und Zacks. Nun motoren wir ein bisschen in der Hoffnung, weiter westlich bessere Winde anzutreffen.

Montag, 29. November 2010

1. Quartalsbericht der Miranda AG

Wäre Miranda eine Aktiengesellschaft und deren Aktien an der Börse kotiert, hätte es heute den folgenden Quartalsbericht der Nachrichtenagentur Reuters gegeben:

Zürich, 28. November. – Das Transport- und Logistikunternehmen Miranda II hat am Montag enttäuschende Zahlen des ersten Quartals (von Samstag zu Samstag) bekannt gegeben . Mit 675 Meilen haben Miranda II die Erwartungen der Analysten /(700 Meilen) klar verfehlt. Die Geschäftsleitung begründet dies mit schlechten Windverhältnissen am Freitag und Samstag. In seinem Ausblick auf das zweite Quartal sagte CEO Bat Ovni: "Wir sind für die kommenden Herausforderungen in einem schwierigen Umfeld gut aufgestellt und erwarten ein befriedigendes Ergebnis." Und Finanzchef Jean-Claude Trichet liess sich mit dem Satz zitieren: "Wir werden die Wetterverhältnisse auch weiterhin im Auge behalten."

Die Börse reagierte enttäuscht. Besonders zu denken gibt, dass auch das zweite Quartal mit 158 Meilen in zwei Tagen (bis Montagmittag) verhalten begonnen hat. Von Analystenseite hiess es, entscheidend für das Jahresergebnis (eine Ankunft um den 20. Dezember) seien das 3. und 4. Quartal, wenn gute Passatwinde erwartet werden. Diese Entwicklung sei aber im Aktienkurs längst eingepreist. Die ZKB bewertet den Titel weiter mit Outperform; das Unternehmen habe Meteoorologie, Segeltrimm und – wechsel im Griff und verfüge über ein Boot mit hervoragenden Leichtwindeigenschaften, um auch schwierige Zeiten zu überstehen. Skeptisch zeigte sich das Analyseteam der Bank Bär: "Segelboote gelten als Geldverbrennungsmaschinen und sind nur für Investoren mit starken Nerven geeignet."

Sonntag, 28. November 2010

A Happy Boat

Pizza gegessen, Zopf gebacken - und einen Mahimahi gefangen, der uns für zwei Tage ernähren wird. Das beste: die Flaute ist zu Ende und ein guter Wind schiebt uns Richtung Kapverden.

Freitag, 26. November 2010

Von Möwen und andern Angestellten

Wir haben keinen Fisch gefangen gestern, dafür einen Vogel. Das Biest flatterte wie wild, tauchte immer wieder unter, während wir die Leine einrollten. Kam auch wieder hoch – ein Drama. Auf Youtube hätte das Video einen Spitzenplatz erreicht. Endlich an Bord packte Jean-Pierre die Mega-Möwe und dann gingen wir daran, ihren linken Flügel vorsichtig von der Leine zu befreien. Nichts schien gebrochen und so liessen wir den Vogel sofort wieder frei. Mit kräftigem Flügelschlag flog er davon – diese Fischer, Hunderte von Meilen vom Land entfernt auf Nahrungssuche, haben ganz offensichtlich einen robustes Knochengerüst. Als Mensch hätte die Möwe Anrecht gehabt auf psychologische Betreuung, um mit dem Schock fertig zu werden. Als Vogel jedoch wird sie den unfreiwilligen Besuch auf Miranda II wohl bald vergessen haben.

Im weiteren Verlauf des Tages kam noch ein Nachfalter auf Besuch. Und ich kann nur sagen, er war genau so lästig wie die Nachtfalter, die man im Schlafzimmer einfängt. Allerdings habe ich grossen Respekt vor diesen Insekten, denen der Schöpfer weite Seereisen (wozu auch?) aufgebürdet hat.

Schliesslich Delfine. Wir sehen sie so oft, dass wir nur noch aus Höflichkeit hingucken, wenn ein Crew-Mitglied "Delfine!" ruft. Wenn sie aber ganz nahe am Boot sind, versuchen wir sie mit hohen Pfeifftönen zu einem Sprung aus dem Wasser zu bewegen. Denn normalerweise ist nicht viel zu sehen, die Sprünge produzieren die Delfine mit einiger Zuverlässigkeit nur in der Delfin-Show, sozusagen als Angestellte. In der Freiheit, wo sie freischaffend arbeiten, lassen sie sich nicht zu Gratis-.Sprüngen verleiten, weil sie wissen, dass dafür nix zu kriegen ist. Ist auch klar. Mal ehrlich: Würden Sie auch nur ein Mail Ihres Chefs beantworten ("Erwarte Feedback. Danke P."), wenn er nicht jener wäre, der Ihnen den Lohn zahlt. Sehen Sie! Die Delfine sind genau so. Das Delfin-Prinzip eben.

Ein Nachtrag noch: Während ich dies schreibe, brummt der elektrische Autopilot aufs schönste. Wir haben aus den zwei kaputten Geräten erfolgreich ein Funktionierendes zusammen gebastelt – und ernten nun den Lohn dafür: beide Hände frei zum Schreiben statt zum Steuern, während die Batterien geladen werden. Später segeln wir dann wieder mit der Windsteuerung weiter, die auch bei den vorherrschenden leichten Winder hervorragend arbeitet. Ohne Lohn, aber mit täglichem Dank.

Donnerstag, 25. November 2010

Happy Thanksgiving

Happy Thanksgiving to all of you. Ich werde immer leicht sentimental an dem Feiertag, dieses Jahr ganz besonders, wo wir auf hoher See feiern und auf ein Gastmahl des Meeres hoffen. Geschichtsbewusste erinnern sich, dass eine Ladenkette in der untergegangenen Deutschen Demokratischen Republik so geheissen hat. Die Läden - einer davon nahe beim "Alex" in Berlin, andere gabs in Rostock, aber auch in Leipzig - waren nach meiner Erinnerung nie offen, wohl deshalb weil die Versorgung der Bevölkerung mit Garnelen nicht zuoberst im 5-Jahres-Plan des Zentralkomitees der Sozialistsichen Einheitspartei fungierte. Aber irgendwan in einem Plan die Einrichtung von solchen Etablissements beschlossen worden war. Und so ist den Besuchern vor allem die grosse blaue, versale Schrift über den Läden in Erinnerung geblieben: "Gastmahl des Meeres". Ein treffender Name, erfunden von einem Parteigenossen, der wusste: Gegenüber dem Meer soll man nicht fordernd auftreten und forsch Fische fordern. Denn das Meer gewährt uns seine kulinatrischen Schätze und bietet sie uns zum Mahle an. Und darauf, auf die Grosszügigkeit des Meeres, warten wir am diesjährigen Thanksgiving, gut 400 Meilen nördlich der kapverdischen Inseln.

Soviel zum Feiertag des Erntedankfestes. Der Tag hat heute Morgen bei leichten Winden begonnen und einer ruhigen See, gerade richtig, um den elektrischen Autopiloten auseinander zu nehmen und dann festzustellen, dass Rädli aus Plastik, die die volle Kraft übertragen sollten, vermantschte Zähne haben und deshalb das Maschinchen hustete und stotterte. Keine Chance einer Reparatur der Teilchen.

Es ist immer ärgerlich, zu realisieren, dass ein Hersteller (Autohelm) eine Abkürzung genommen und Billigmaterial eingebaut hat, was sich früher oder später dann beim Kunden rächen müsste. Nun überlegen wir uns, ob wir aus den zwei an Bord vorhandenen Geräten eins machen sollen; aus den beiden Geräten zusammen sollten wir nämlich mit etwas Glück neun intakte Plastikrädli zusammen bekommen.

Mittwoch, 24. November 2010

Auf der Welle

Wir sind mit der Welt über ein Satellitentelefon verbunden, das als Modem auch Mails schickt und empfängt und diesen Blog speist. Internet haben wir keines und Kollegen sagten mir vor der Abreise, die tägliche Dosis Webseiten-News würde mir unterwegs am meisten fehlen. Stimmt nicht: Es ist, als hätte ich Internet nie gekannt und ergo fehlen mir die Stories über Missen, Kachelmann und Raser gut 500 Meilen nördlich der Kapverden auch nicht. Nur die Fussballresultate lasse ich mir extra liefern, auch die unerfreulichen. Und natürlich die Kommentare von Euch Lieben auf Facebook, welches meine Webmanagerin in den USA betreut. Für den Abstimmungssonntag habe ich einen Kollegen, dessen Urteil mir viel wert ist, gebeten, mir einen Kommentar zu schicken.

Mit der Welt sonst verbunden sind wir auf altmodische Weise: Wir hören Deutsche Welle auf 6075MhZ. Das Radio informiert akkurat über Krisen, Kriege und Gipfeltreffen. Und wenn es nichts zu berichten gibt, dann treten in unserem Boot am Abend Frau Merkel und Herr Westerwelle auf und bekräftigen, betonen und erklären. Niemand kann sagen, was deutsche PolitikerInnen vor 14 Tagen oder irgendwann gesagt haben. Dennoch reden sie dauernd - und die Deutsche Welle bläst die Sprechblasen in die Welt hinaus - als einer der letzten Newssender auf Kurzwelle.

Dienstag, 23. November 2010

Ein gewöhnlicher Segeltag

Der Segeltag beginnt für mich um Mitternacht, wenn ich meine Wache antrete. Jean-PIerre übergibt mir immer ein perfekt getrimmtes Boot und eine gut eingestellte Windsteuerung, sodass es eigentlich nichts zu tun gibt. Ausser alle 15 Minuten einmal nautisch rundherum blicken, ob Frachter auf Kollisionskurs sind und wenn ja (wie gestern) ihren Kurs korrigieren (was sie jeweils tun). Kurz vor drei Uhr koche ich einen Tee und wecke Agnes; sie hat dann bis 6 Uhr Wache. Ich schlafe bis kurz nach 8 Uhr, und zwar im Salon, um als Skipper-Allzeitbereit immer in der Nähe zu sein, wenn was wäre. Am Vormittag dann, heute, habe ich fast drei Stunden gesteuert, weil wir viel Wind hatten und unter Spi fuhren - kein Fall für die Windsteuerung. Der Nachmittag geht mit dem Laden der Batterien und dem Herunter-Laden der neusten Wettermodelle und den Mails rasch vorbei. Ueberhaupt: Irgendwie habe ich immer das Gefühl, ich hätte viel zu tun, obschon dies objektiv gar nicht so ist. Der Grund für dieses Gefühl, dauernd beschäftigt zu sein, ist, dass der Lebensrhythmus auf See sich verlangsamt. Das wichtigste am Tag ist jeweils das Abendessen und die Happy hour davor, die wir heute aber schon am Mittag vorgeholt haben als Belohnung für den erfolgreichen Segelwechsels (Spi herunternehmen ging super). Nach dem Abendessen geniessen wir jeweils den Sonnenuntergang - und dann gehe ich "vorschlafen", damit ich um Mitternacht, für die neue Schicht, wieder zwäg bin.

Montag, 22. November 2010

Richtung Kapverden

Mit leichten Winden sind wir unterwegs Richtung Kapverden. Wir versuchen m glichst s dlich zu segeln, um einer Flaute westlich von uns zu entgehen. Andere Boote haben die gleiche Idee gehabt. Wir segeln sozusagen in einem Ragatta-Feld. Die Spitze der ARC-Boote hat uns in der Nacht eingegholt, das sind Crews, die am Atlantic Rallye for Cruisers teilnehmen, mehrere hundert insgesamt, die untereinander ausmachen, wer am schnellsten in St. Lucia ist. Wir nehmen es eher gem tlich und geniessen die Sonne und die ruhige See. Gerade hat Agnes ein Poulet gekocht, das tiefgefroren in de nletzten zwei Tagen im K hlschrank Dienst hatte und selbigen beim Auftauen etwas kalt hielt. Zum Poulet gibt es Kartoffelstock - das perfekte Abendessen kurz vor Sonnenuntergang.

Donnerstag, 18. November 2010

Von Bier, Mehl, Rüebli und Pringles

Eine Atlantiküberquerung ist nichts anderes als ein Lehrstück, was man in einem einzigen Monat zusammenfrisst – und trinkt. 72 Dosen Bier sind zum Beispiel eingekauft worden. Ich bitte Euch! Wer kann soviel in sich hineinschütten in 30 Tagen? Weiter natürlich Unmengen Coci und Mineralwasser – zu den 375 Litern Süsswasser, die in zwei Alu-Tanks lagern. Dann Gemüse – frisch und in Gläsern bzw. Dosen, letzteres weil Rüebli und Bohnen eine ausserordentlich kurze Halbwertszeit haben. Da lernt man die Konservenindustrie wieder schätzen, welche jahrzehntelang von der Migros-frisch-Ideologie diskreditiert worden ist. Am besten halten sich noch Kürbisse, für ein feines Risotto. Auch die sogenannten Grundnahrungsmittel sind vorhanden: Teigwaren und Mehl. Reichen 10 kg Weissmehl für den ganzen Trip? Eine überschlagsmässige Kopfrechnung ergibt 30 mal 300 gr für ein täglich frisch zu backendes Brot. Ergibt 9000 Gramm gleich 9 kg, behalte 1. Sehr gut! Es gibt natürlich auch Dinge, die nicht die Wichtigkeit haben von – sagen wir – Zitronen (Skorbut!) , Pringles zum Beispiel. Vier Dosen kommen mit und verbrauchen soviel Stauraum wie 10 kg Mehl. Auch ein Lehrstück. Es gibt weiter Schoggi, Zwiebeln und Saucenwürfel, Konfitüre und Couscous (auch Harissa dazu), dann Klopapier, 170 Liter Diesel und 4 Liter Motorenöl. Einfach alles. Am meisten stolz bin ich auf etwas, das wir hier in einem kleinen Dorf gekauft haben: 1kg Cochenilles. Das sind Läuse, die auf Lanzarote von Kakteen geerntet und getrocknet werden und die man seit Jahrhunderten zum Färben von Stoffen braucht. Wir nehmen den wertvollen Rohstoff mit nach Amerika, um ihn dort einer Mitfärberin von Agnes zum Tausche anzubieten. Insofern - so darf ich, glaub ich, sagen - sind wir mehr ein Handelsschiff als ein Segelboot - und das erklärt eigentlich erst richtig die Unmengen an Food, die wir im Schiffsbauch gebunkert haben.

Sonntag, 14. November 2010

Die To-do-Liste

Die Überquerung des Atlantiks hat etwas Definitives – in der Hinsicht mindestens, dass alles für rund 30 Tage liegen bleiben wird, was bis dahin nicht erledigt worden ist. Wir führen deshalb eine To-do-Liste, die je näher der Abfahrtstermin kommt, immer länger wird.
Seit Tagen schiebe ich zum Beispiel die Kontrolle der Anode am Propeller vor mir her. Das ist ein Stück Zink, das korrodiert. Die Korrosion am Billigmetall sorgt dafür, dass die Korrosion nicht am teuren Alu einsetzt und aus dem Boot mit der Zeit ein überdimensioniertes Salatsieb entsteht. Eine wichtige Sache also und allenfalls müsste die zerfressene Anode am Propeller ausgewechselt werden. Dann wären Batterien zu besorgen für einen kleinen, im Fernglas eingebauten Kompass, keine schlechte Sache ein beleuchteter Kompass, wenn man nachts Frachter peilt. Die Batterien haben den Namen „350 Renata“. Seit wann haben Batterien weibliche Vornamen?

Zu meinen Gunsten kann ich sagen, das es auch ein paar durchgestrichene Items gibt auf der Liste: Einen Reffpunkt habe ich versetzt, damit das Segel eine glattere, weniger bauchige Form bekommt, ein Vorschlag von Jean-Pierre. Und dann sind auch die Camping-Gas-Flaschen bereits an Bord, ein Stück pro Woche plus zwei in Reserve. Nieten habe ich auch schon gekauft für allfällige Reparaturen. Nieten tragen ihren Namen („Du Niete!“) völlig zu Unrecht. Die Niete ist eine schlicht geniale Erfindung und der helle Knall einer erfolgreichen – was ? – „Nietung“ ist jedes Mal ein handwerkliches Glücksgefühl.

So gehen die Tage vorbei. Die lange To-do-Liste hat mindestens den Vorteil, dass ich nicht auf der Strandpromenade spazierend die Zeit totschlagen muss wie die vielen Briten und Deutschen, die hier in den Aparthotels Ferien machen. Und noch ein Vorteil hat die To-do-Liste, wie ich von einem erfahrenen Segler unter der Hand vernommen habe: Am Schluss wirft man sie einfach weg und legt los – egal, was durchgestrichen ist und was nicht.

Donnerstag, 11. November 2010

Christbaum

Es fällt nicht leicht, bei den unweihnachtlich-sommerlichen Temperaturen am 29. Breitengrad an Weihnachten zu denken. Doch weil wir im Dezember während mindestens 30 Tagen an keinem Christbaummarkt vorbei kommen mitten im Atlantik, haben wir uns einen Ruck gegeben und uns auf die Suche nach einem passenden Laden gemacht. Und siehe da: in Arecife in einem China-Shop, wo es schlicht alles gibt – aufzählen hat keinen Sinn, es gibt einfach ALLES -, in einem dieser vollgestopften etwas dunklen Lokale also, wo die Verkäuferinnen untereinander auf Kantonesisch parlieren, fanden wir unseren Christbaum – und zwar einen bootstauglichen: die 12V-Lichter lassen sich direkt ans Bordnetz anschliessen. Und - für die Zeit bis Weihnachten besonders praktisch - der Baum lässt sich mühelos zusammenklappen und bis zum Fest in der Backskiste bei den Fendern und Festmacherleinen verstauen. Weil die Chinesen in dem Laden wirklich alles haben, leisteten wir uns noch schönen Christbaumschmuck. Das Schmücken des Baumes erhöht traditionell die Vorfreude auf den Heiligabend. Ein Test an Bord am Abend verlief erfolgreich, allerdings öffnete ich das Ding nicht, aus Furcht, es nicht mehr schirmmässig zusammenklappen zu können. Das Foto sieht deshalb nicht gerade festlich aus, muss es aber auch nicht. Item: wir können nun Weihnachten gelassen entgegen sehen.

Dienstag, 9. November 2010

Leck

Ein berufliches Leben lang hatte ich von Lecks profitiert, also von Informationen, die irgendwo heraus- und bei mir hinein gesickert waren. Ich hatte mir nie Gedanken gemacht über die wahre Natur des Lecks. Erst jetzt auf Lanzarote wurde ich der Brisanz bewusst. Gut 30 Liter Salzwasser hatten sich nämlich in der Bilge unseres Bootes angesammelt. Irgendwo im Apparat, so die messescharfe Schlussfolgerung, musste es eine undichte Stelle geben.

Nach Prüfung der üblichen Verdächtigen – Stopfbuchse, Ventile – einigten wir uns darauf, dass das Leck in der Ankerkiste zu finden sein müsste, dort wo wir vor drei Jahren schon einmal abgedichtet hatten. Um der Sache auf den Grund zu gehen, spritzte ich mit Hochdruck Wasser an die vermuteten Stellen. Vor allem die Kabeleinlässe der Ankerwintsch schienen uns suspekt. Agnes prüfte derweil die Unterwelt der vorderen Kabine auf frische Tropfen, mengenmässig hielt sich das ja alles im Rahmen mit den 30 Litern, aber genau das ist jeweils das Problem: Je kleiner das Leck, desto schwieriger ist es zu entdecken. Doch wir hatten Glück: beim zweiten Anlauf der Spritztour offenbarte sich klar eine Nässe im Alurumpf, die vorher nicht da gewesen war.

Im Bundeshaus wird jeweils die Bundesanwaltschaft beauftragt, die entstandenen Lecks zu stopfen. Auf unserem Boot mussten wir selber Hand anlegen. In mühseliger Arbeit habe ich zunächst die Kabeleinlässe für die Ankerwintsch neu gefasst. Da Agnes als kleinere Person gerade noch knapp in die Ankerkiste hinein steigen konnte, übernahm sie den Job des Dichtens mit Sikaflex 291, dem weltweit absolut besten Mittel, den es für diesen Zweck gibt.

Nun sind wir gespannt, ob wir in der Zukunft eine trockene Bilge haben. Wenn nicht, haben wir wenigstens die dort gelagerten Konserven mit wasserfestem Filzstift angeschrieben. Wasser löst nämlich die Etiquetten ab und unbeschriftete Konservendosen – egal ob mit Erbsli oder mit Schoggicreme gefüllt – sehen dann mitten auf dem Atlantik plötzlich alle gleich aus.

Samstag, 6. November 2010

Kochen und abwaschen

Grosse Frage nun: Ist die Wetterrechnung aufgegangen? Hat es sich gelohnt, hart am Wind zu segeln, damit wir möglichst östlich der Ideallinie bleiben würden?

Antwort: Es hat. Am Donnerstagnachmittag gab es für unseren Kurs noch immer einen guten Wind, nix von gegen uns drehend, sondern schön für uns. Noch besser: Die Wellen waren nun noch knapp 2 m, eine Höhe (und Länge), die unsere "Miranda" mit Grazie bewältigt. So hat sich dann die Stimmung an Bord sehr rasch gebessert. Man sass wieder zusammen im Cockpit und verkroch sich nicht sofort nach der Wache in die Koje, damit die Zeit im Schlafe vergehen würde.

Am Abend gab es wieder Tuna, den ich in einer Tomatensauce kochte und mit Teigwaren servierte, vielleicht nicht grad das hochkulinarischste Menu, aber: In der Küche stehen war wegen der Schräglage des Bootes (Krängung) immer noch anspruchvoll. Und wer sich bei solcher Kocherei nicht verkeilt oder wenigstens mit einer Hand festhält beim Hantieren, risikiert immer noch unschöne Verschüttszenen bis hin zu Verbrennungen. Das ärgste war dann der Abwasch. Es gibt unter erschwerten Umständen zwei Methoden: Entweder jedes Stück einzeln ergreifen, abwaschen, abtrocknen und versorgen, was zeitaufwändig ist. Oder dann alles abwaschen und in einem zweiten Becken zum trocknen und versorgen zwischenlagern. Nicht meine Lieblingstätigkeit muss ich sagen. Und manchmal beneide ich Leute, die an Bord eine Geschirrwaschmaschine haben und sich auf ihren Booten wie zu Hause fühlen.

Am Freitag schliesslich konnten wir den Lohn unserer Plackerei ernten: Wir waren fast zu weit weg auf der guten Seite der Ideallinie und konnten nun Kompassgrade verschenken. Wir öffneten die Segel, das Boot hatte nun weniger Schräglage, man hätte geradezu komfortabel abwaschen können. Und so segelten wir, begleitet von einem Sonnenuntergang, in die warme, mondlose Nacht hinein. Kurz vor Mitternacht legten wir im Süden von Lanzarote im Hafen der Marina Rubicon an, gleich neben einer Bar, die noch offen war. Was für ein Glück - das ich allerdings am nächsten Morgen büssen musste.

Thunfisch macht Fehler seines Lebens

Die gesammelte Wetterweisheit lautete, dass wir am besten am Mittwoch Richtung Lanzarote starten sollten. Wir müssten möglichst weit östlich segeln, um dann im Verlaufe des Donnerstag und Freitags unser angesammeltes Ost-Guthaben aufbrauchen zu können, wenn der Wind mehr und mehr gegen uns drehen würde. Gesagt, getan. Wir gingen hart an den Wind, kämpften mit 3.5m hohen Wellen, von denen uns die eine oder andere im Cockpit immer wieder (warm) duschte. Und mitten in diesem Kampf der Elemente machte ein Thunfisch den Fehler seines Lebens und biss in unseren Köder.
Wie soll man in einem solchen Chop als Steuermann das Boot verlangsamen, damit Jean-Pierre die Nylon-Leine mit dem Fisch am andern Ende aufrollen könnte? Ich tat mein möglichstes – und schliesslich war der unglückliche Bonito am Haken und an Bord – geschätzter Barwert gemäss Migros-Fischstand ca 80 Franken.

Am Abend wurden die Tranchen kurz in Olivenöl gebraten, mit Pfeffer und ganz wenig Salz gewürzt und mit Brot serviert – mein bestes Tuna-Sandwich. Zu mehr reichte es nicht, da Kochen während des harten Ritts einigermassen schwierig war – und wohl am Ende auch vergeblich, weil unsere Magennerven schon ziemlich angegriffen waren von diesm Stop and go in den Wellen.

Montag, 1. November 2010

Wetter IV

Wir sind auf dem Sprung nach Lanzarote, knapp 300 Meilen von Madeira aus, und das schon seit ein paar Tagen. Aber die Wettermodelle von www.grib.us sind jeden Tag anders. Heute besonders ärgerlich: Wenn wir die Prognose von heute Morgen gestern gehabt hätten, dann wären wir sicher gegangen. Aber gestern waren entlang der nordafrikanischen Küste stärkere Winde vorausgesagt also heute, bzw. als gestern für heute und morgen. Nun scheint es, dass sich die Winde neu östlich und eher auf das marokkanische Festland konzentrieren. Auch die Wellen geben uns zu denken. 6 Meter muss es nicht gerade sein. Der allgemeine Konsens der Crews im Hafen von Quinta do Lorde ist: die zweite Wochenhälfte erscheint einigermassen verheissungsvoll. Weil heutzutage die Wettermodelle bis 7 Tage im voraus erhältlich sind, wissen wir, dass wir spätestens bis Sonntag in Lanzarote sein sollten. Dann kommt ein happiges Tief aus dem Norden in unsere Gegend

Sonntag, 31. Oktober 2010

Im Botanischen Garten

Weil Agnes sich für Pflanzen interessiert, besuchen wir wo immer vorhanden den Botanischen Garten.. Während sie begeistert Bäume, Sträucher und Gräser entdeckt, bemühe ich mich, wenigstens interessierte Bemerkungen zu machen. So in der Art: „Ja, sieh mal“, oder bewundernd: „Und welche riesige Früchte!“

Trotz meines laienhaften Interesses sind die Visiten in der grünen Umgebung ein grosser Gewinn. Im Botanischen Garten von Funchal habe ich zum Beispiel zum ersten Mal die Ananas-Pflanze gesehen. Die Frucht selbst, die wir von festlichen Desserts kennen, trohnt in freier Natur in der Mitte einer Rundpflanze, deren lange Blätter um sie herum scharfe Dornen haben. Man muss, um der Ananas habhaft zu werden, also zuerst die Abwehr der sie schützenden Speere überwinden.

Auch den Ingwer (Bild) habe ich persönlich erst jetzt in Funchal kennen gelernt, seine Wurzel schützt vor Seekrankheit und ist sozusagen nebenbei auch eine wunderbare Zutat.
Doch als Pflanze ist der Ingwer trotz seines hohen Gebrauchswerts total bescheiden geblieben. Schliesslich gab es Kurkuma zu sehen, auch so ein Name, der einem nur auf dem Gewürzgestell begegnet und kaum je in Freiheit.

Apropos Freiheit: Am Schluss stellten wir erstaunt fest, dass dem Botanischen Garten ein Gefängnis angegliedert ist. Die Dutzenden von Häftlinge waren alle unter freiem Himmel in ihren Zellen zu besichtigen, ein kleines Guantanamo. Sie waren aus einem völlig absurden und willkürlichen Grund hinter Gitter gekommen, nämlich weil sie ein farbiges Gefieder zur Schau trugen – oder gut singen konnten. Alle sind sie dann zu einer lebenslangen Strafe verurteilt worden und verbüssen sie nun in einer ausbruchssicheren Anlage, die euphemistisch Voliere genannt wird. Wenn es für diese Gefangenen eine Ausschaffunginitiative gäbe, würde ich am 28. November von Herzen mit Ja stimmen.

Freitag, 29. Oktober 2010

Die Inseln im Atlantik

Unter weitgereisten Journalisten ist der Taxifahrer die ultimative Informationsquelle. Was immer er zwischen Flughafen und Hotel sagt, verdichtet sich zu Sätzen wie „In der lokalen Bevölkerung herrscht die Meinung, dass...“ Wir nun sind in der glücklichen Lage, auf Madeira eine bessere Quelle zu haben, nämlich Filomena und ihren Mann Joao. Das Paar, sie Lehrerin, er Revisor, hat uns heute hoch über dem Hafen von Funchal in ihrem wunderschönen Haus mit grandioser Aussicht auf Kreuzfahrtschiffe und die weite See zum Essen eingeladen.

In meiner Ferienlaune in dem hügeligen Paradies nahm mich sofort wunder, wo eigentlich MadeiranerInnen Ferien machen, die ja das ganze Jahr ein Ferienambiente um sich haben? Erstaunliche Antwort: Gleich wie wir – nämlich auf den Kanaren. Und es folgte eine schwärmerische Beschreibung der Canarias mit den schönen Stränden undundund.

Mir kommt das vor, als würden Zermatter in St. Moritz Ferien machen. Anderseits: Zürcher fliegen ja auch nach Berlin wegen der Stadt und der Clubszene dort, welch letztere sie genau so gut im Kreis 5 erleben können – wie die Madeiraner den Strand im nahegelegenen Porto Santo.

Hinter der Vorliebe der Madeiraner (Achtung: Taxifahrer-Verallgemeinerung!) für die Kanaren verbirgt sich aber auch eine Verbundenheit mit den andern Insulanern im Atlantik. Filomena jedenfalls sagte uns, sie fühle sich „dem Kontinent“, also Portugal, weniger verbunden als zum Beispiel den Azoren; und sie wünscht sich eine Union zwischen den autonomen portugiesischen Gebieten der Azoren und Madeira sowie den Kanaren und den Kapverden.

Wie sollte dieses 193. Land der Uno heissen? Mir fiel auf der Heimfahrt ein Name ein, der mir sofort gefiel: The United States of Atlantis.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Bullenstander

Was ist ein Bullenstander? a) die Fahne eines Stierkämpfers? b) der erigierte Penis eines Bullen? c) eine Lebensversicherung? Antwort: c). Und eine solche Lebensversicherung haben wir heute gebastelt. Der Bullenstander ist nichts anderes als ein Seil (Bild), das den herausgeklappten (gefierten) Baum des Grossegels in fixer Position hält bei Wind von hinten. Wenn der Steuermann einen Fehler macht und der Wind plötzlich von der falschen Seite her in das Segel bläst, es mit einem Knall auf die andere Seite schiessen will, dann hält der Bullenstander das Segel von diesem gefährlichen Geschehen ab, das ebenfalls einen speziellen Namen hat: Patenthalse. Für die Fans: Wir haben die beiden Leinen nicht mit Umlenkrollen nach hinten geleitet, sondern mit Schäkel, weil wir aus bitterer Erfahrung wissen, dass Umlenkrollen (bzw. ihre kleinen Schäkel) der knallenden Spitzenbelastung nicht 100prozentig sicher gewachsen sind.

Montag, 25. Oktober 2010

Quinta do Lorde

Ein kleiner Begrüssungsthörn für Jean-Pierre, unser neues Crew-Mitglied. Unser Cousin hat bereits eine Atlantik-Ueberquerung mit uns gemacht, vor vier Jahren, heute haben wir nun sozusagen die ersten 29 Meilen der zweiten absolviert, mit einem Wind, der uns gestossen hat. Ergo wurde Schmetterlingssegeln ausprobiert, Grossegel nach links geklappt, Vorsegel nach rechts. Auf Französisch: ciseaux. Jetzt sind wir im Osten von Madeira, in Quinta do Lorde, und blicken auf Berggipfel. Fast wie bei Ferien im Wallis.

Samstag, 23. Oktober 2010

Apfelmus

Wir können jeden Tag frischen Fisch essen, Muscheln, Seafood ganz allgemein, doch gestern meldete sich das Stammhirn und sandte gebieterisch eine Message ans Grosshirn: "Gehacktes mit Hörnli und Apfelmus, bitte." Die Hörnli gabs irgendwo im Schiffsbauch, Gehacktes war schnell gekauft, aber wo sind die Apfelmus-Büchsen? Das gibts hier schlicht nicht, man muss von einem Apfelmus-Röstigraben reden, der Europa trennt: Südlich der Pyrenäen ist die Beilage unbekannt - was nun?
Die meisten von uns sind hervorragende Köche, die auch ohne Garthermometer und aufwändige Backofen-Software einen Rehrücken perfekt hinkriegen. Wenn ich jeweils die Bilder meiner Facebook-friends betrachte von ihren kulinarischen Unternehmungen, dann gibt es schlicht kein Rezept, an das sie sich nicht wagen würden. Aber nun Apfelmus...hmmm - wie geht das? Sicher total einfach, aber...weiss das jemand?
Hier mein Handgelenk-mal-Pi-Rezept: Aepfel schälen und stückeln, Zucker und Zimt darüber, in wenig Wasser köcheln (mit einem Schluck Weisswein oder Apfelsaft dazu), abkühlen lassen und fertig. Nein: noch pürieren mit dem Pürierstab, der zu jeder soliden Bordausstattung gehört. Geht alles fast so schnell wie Büchsenöffner suchen, Büchse aufmmachen und später zur Abfalltrennung und zurück zu tigern, um die leere Büchse wieder loszuwerden. Das Stammhirn freut sich. Und Fisch gibts dann morgen wieder.

Freitag, 22. Oktober 2010

33/16

Die Marina von Porto Santo, nordöstlich von Madeira heisst 33/16 weil sie auf dem 33. Breitengrad liegt und sich mit 16 Grad gut eine Stunde westlich von Greenwich befindet. Es ist deshalb länger dunkel am Morgen als in Lissabon, doch dann erleben wir ein helles südliches Sponnenlicht, das auf karge Hügel herunter brennt und das uns zum erstenmal das Gefühl gibt, wirklich weit weg gesegelt zu sein. 1400 Seemeilen sind es seit dem Start in Nantes Mitte Juli, sagt unser Logbuch.

Unsere schwedischen Nachbarn von Lissabon sind fast gleichzeitig mit uns eingetroffen. Sie hatten weniger lange zugewartet in der Flaute und den Motor früher angeworfen. Wir sind deshalb wieder einmal sehr stolz auf unsere Ovni 35, die auch in leichten Winden noch super gut läuft. Die Ankunft haben wir dann mit Margareta und Sune zusammen gefeiert in der Hafenba. Danach gab es an Bord der "Miranda II" den üblichen Chillout-Tag nach einem langen Trip, also Nichtstun, ausser duschen, ein bisschen aufräumen und die Oeffnungszeiten der Hafenbar testen. Morgen wollen wir dann sehen, was die Insel für uns bereit hält.

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Nachtwache

"Darf ich Dir Cassiopeia vorstellen", frage Agnes. "Ja gerne", sagte ich und folgte ihrem ausgestreckten Arm Richtung nördliche Himmelshemisphäre. "Sie sieht aus wie ein W.", sagte die Sternenkundige. Tatsächlich: ein "W", allerdings eines, das nicht mit beiden Füssen auf dem Boden steht, sondern einen Handstand macht, und zwar auf einem Arm, was sonst nur nordkoreanische Zirkusartisten können.

Von der Cassiopeia ging es nun weiter zu Orion - mit Schwert, dann zum Schwan, mit seinen Flügelchen und dem kleinen Kopf - da muss einer erst mal drauf kommen, dachte ich. Auch der Grosse Wagen war da, wie immer, dessen Deichsel mir schon als Kind überdimensioniert vorgekommen ist.

Es war nun 20 Uhr geworden und wir vereinbarten, beim Wachwechsel wieder in die Sterne zu gucken. Agnes ging schlafen und ich spintisierte weiter am Thema Sterne. Es gibt ja sonst nichts zu tun auf der Wache, wenn alles gut läuft. Mir kam in den Sinn, ob es wohl mal ein Sternbilder-App fürs iPhone geben würde, mit GPS und Himmelskoordinaten Ich dachte dann, dass eher nein; denn rund um die Sternbilder gibt es keine Moden, keine Aktualität, die Sternbilder entziehen sich dem irdischem Wandel trotz ihrer allnächtlichen Präsenz. Kein König und kein Diktator in Piong Yang hat es je gewagt, in seinem Herrschaftsbereich das Umtaufen der Sternbilder zu verlangen. Und deshalb ist aus dem Orion mit seinem Schwert nie "Unser lieber Führer" geworden. Auch gibt es keinen "Rolex-Stern" und keinen "Fedex-Planeten". Branding, Sponsoring, das alles passt nicht an den Nachthimmel, einer der letzten nicht-kommerzialisieren Räume.

Um Mitternacht kam Agnes wieder aus der Koje ins Cockpit für ihre Wache, doch das neuerliche Sternengucken fiel aus, weil inzwischen der Grosse Regisseur einen weissen Zirrenvorhang vor seine Sternbilder gezogen hatte.

Als ich um 3 Uhr für meine zweite Wache aufwachte, spürte ich an der Bewegung des Bootes, dass wir noch immer guten Wind hatten. Ich kriegte einen Tee und Agnes legte sich wieder schlafen. Um 6 Uhr, am Ende meiner neuen Wache, machte ich einen Logbuch-Eintrag und sah, dass es noch 81 Meilen wären bis zum Ziel in Porto Santo.

Montag, 18. Oktober 2010

Unterwegs

Der Blogist meldet sich zurück, tanned and rested. Wir sind ca 180 Meilen nordöstlich von Madeira, haben guten Wind und wollen nur eines wissen: Kommt die Sauce Madère wirklich aus Madeira - und wird sie dort auch montiert - so wie der VW in Wolfsburg? Oder ist alles ein grosses Missverständnis à la Toast Hawaii? Werde mich sofort nach Ankunft als Leser-Reporter verkleiden und der Sache mit Handy-Kamera auf den Grund gehen. Bis bald also. Ah ja noch was: Das ist Bloggen via Satellitentelefon - mit 4800 Baud.

Dienstag, 21. September 2010

Der Blogist macht Ferien bis 15. Oktober.

In unserem Blog haben wir nun die 1. Staffel abgeschlossen. Die einzelnen Beiträge werden, vom Blogisten signiert, bald auch als Buch erhältlich sein - eine schöne Geschenkidee, wo wir langsam an Weihnachten denken müssen. Der Titel des Werks lautet: "Segeln wie es keiner kennt" Untertitel: "Gestern - heute - morgen".

Die 2. Staffel startet Mitte Oktober - mit erregenden neuen Stories aus dem Leben eines rugged sailors, seiner Equipage und der Welt, so wie sie ist.

Bis dann passiert hier gar nichts. Niemand verpasst also nichts. Allen, die jedoch bereits süchtig sind nach dem Miranda-II-Blog, sei der bequeme Klick ins Archiv empfohlen. Dort gibt's jeden Tag jede Menge Re-Runs.

Sonntag, 19. September 2010

Ein schneller Ritt nach Lissabon

Wir hatten den Wind erst gegen 15 Uhr erwartet, doch schon kurz nach dem Ablegen aus Figueira da Foz um 11 Uhr sahen wir, dass eine Yacht ihre Segel setzte, die etwas weiter draussen als wir der Küste entlang segelte. Bald traf das vormittägliche Geschenk auch bei uns ein. Statt wie vorausgesagt nach ein paar Stunden wieder einzuschlafen, wurde der Wind am Abend immer besser. Wir refften und liefen zeitweise 7 Knoten – und vom feinsten, da von der Seite, also halber Wind, wie man sagt. Dazu sorgte ein Mond für helles Licht, keine Selbstverständlichkeit, erst gerade war noch Neumond.
Mit diesem schnellen Ritt hatten wir nicht gerechnet und so trafen wir bereits nach 21 Stunden und viel zu früh am Morgen an der atlantischen Abzweigung Richtung Lissabon ein, am Cabo da Roca. Wir verlangsamten nun das Boot und segelten gerade noch 2 Knoten, weil wir nicht in der Dunkelheit durch kaum sichtbare Fischernetze hindurchpflügen wollten und eine fremde Hafeneinfahrt im Dunkeln ihre Tücken haben kann.
Gegen 7 Uhr wurde es hell und da sahen wir, was wir vorher in der Dunkelheit partout nicht hatten sehen wollen: ein langer Mauer-Wall, an dessen östlichem Ende sich die Einfahrt in den Hafen von Cascais befand. Am Steg angekommen merkten wir, dass wir in der langen Nacht mit den abwechselnden Wachen einen Gewaltshunger zusammengesegelt hatten. Es gab deshalb nun Speck mit Eier, das beste Frühstück ever. Danach hiess es gute Nacht und den Vormittag verschlafen.

Samstag, 18. September 2010

Von Viana do Castelo nach Lissabon

Nach der spanischen Nordwesteküste sind wir Anfang September in einem neuen Land angekommen, in Portugal. Es ist gar nicht so einfach, zu sagen, warum es uns hier so gut gefällt. Es muss zu tun haben mit der Liebenswürdigkeit und der spontanen Freundlichkeit der Menschen, die angetan sind, wenn Fremde durch ihre Markthallen schlendern, Salat, frischen Fisch und Nüsse kaufen oder sich in der Strasse nach einem Laden erkundigen – umständlich natürlich, denn die Sprache ist auch hier für uns ein Problem, aber wir haben schon gut gelernt, uns mit Händen und Füssen zu verständigen.

Grosse Etappenorte entlang der portugiesischen Küste sind oft nur einen Katzensprung von grossen Städten entfernt, die mit modernen Zügen erreichbar sind. Von Figueira aus kommt man zum Beispiel in einer wunderschönen Fahrt entlang von Reisfeldern und Bauerngärten nach Coimbra, von Povoa da Varzim aus geht’s mit der Express-S-Bahn nach Porto. Und von Castais ebenfalls per Bahn ins nahegelegene Lissabon. Ueberhaupt fällt auf: Länder wie Portugal und Spanien überraschten uns immer wieder mit ihrer modernen Infrastruktur, nicht nur beim öffentlichen Verkehr, sondern auch bei der Abfalltrennung und Entsorgung. Auch Schulen und öffentlichen Gebäude sind, soweit unsere zufälligen Beobachtungen stichhaltig sind, aufwändig renoviert oder neu. Man könnte sagen, der Abstand der südlichen Länder zu Zürich wird kleiner.

Seglerisch bleibt vor allem in Erinnerung, dass es entgegen allen Voraussagen wenig Wind gegeben hat. Wenn am Cap Finisterre starke Winde angesagt waren, dann reichte es für uns – mit wenigen Ausnahmen - entlang der portugiesischen Küste nur noch für ein laues Lüftchen. Viele Crews machte Nebel zu schaffen, uns nur Nebelhörner, die wie Weltkrieg-II-Sirenen heulen. Die Marinas und Häfen haben alle einen hohen Standard. Wer sich aus Frankreich und England allerings an omnipräsente Bootszubehörläden gewöhnt ist, muss sich hier anders organisieren. Auch Seekarten gibt’s nur in Lissabon. Und wo es vielleicht mal kleine Zubehörläden, sogenannte Chandleries, gibt, sind sie schlecht assortiert. Wer immer etwas braucht, nutzt am besten einen längeren Aufenthalt an einem Etappenort, um in Deutschland oder sonstwo Ersatzteile zu bestellen und liefern zu lassen.

Mittwoch, 15. September 2010

Auf Augenhöhe mit dem Baum

In Coimbra besuchten wir einen Botanischen Garten, in welchem ausschliesslich Bäume gezeigt werden, Bäume aus allen Erdteilen , von denen viele – den Umfängen ihrer Stämme nach zu urteilen – hundert oder vielleicht Hunderte von Jahren alt sein müssen. Das raffinierte der Anlage ist, dass der ganze Baumgarten in verschiedene Ebenen unterteilt ist, die alle mit steilen Treppen verbunden sind.

Dies bedeutet, dass man einen Baum von einer oberen Ebene aus betrachtet, also nicht von unten am Stamme steil nach oben starrt. Man befindet sich als Besucher auf diesen oberen Ebenen sozusagen auf Augenhöhe mit dem Baum; auch die Schilder mit den Namen sind so weit oben am Stamm angebracht angebracht, dass man sie nur von der höheren Ebene aus, und nicht von unten her, lesen kann.

Obschon ich von Bäumen – im Gegensatz zu Agnes - nichts verstehe, werde ich den Besuch des Gartens nie vergessen. Denn ich habe zum erstenmal in meinem Leben einen Pfefferbaum geshen. Agnes nahm dessen Früchte in die Hand und zeigte mir die Pfefferkörner. Nun weiss ich, woher im Pfefferland der Pfeffer kommt.

Eine Fahrt mit einem Trolleybus

Ein Trolleybus, wie aus dem Kinderbuch. Keine Ahnung, wo er hinfahren würde. Wir steigen bei der vorderen Tür ein und dann drei Stufen hoch, lösen ein Bilett und warten, bis der Chauffeur eine Art Fahrhebel betätigen und das Gefährt in Gang setzen würde. Der Bus ist nicht nur hoch, sondern auch schmal und so wankt er auf dem unebenen Kopfsteinpflaster bedenklich. Und in den engen Kurven betätigt der Fahrer mit grosser Kraft ein Steuerrad, das noch aus der Vor-Servo-Zeit stammt. Er bremst oft, der kundige Chauffeur, wenn ihm das Gefälle zu steil wird oder der Gegenverkehr zu bedrohlich. Bei Steigungen wiederum wird die Leistung des Elektromotors auf eine harte Probe bestellt, die der Bus jedoch souverän besteht.

Die Fahrt führt hinauf und hinunter, einmal landen wir in einem Villenquartier, dann lenkt die Oberleitung, die den Bus auf Kurs hält, das Gefährt an einem Stadion vorbei, rechterhand hohe Wohnhäuser, aus denen allerdings keine Menschenmassen strömen zu den Haltestellen. Unser Trolleybus nimmt nur selten neue Passagiere auf, meist sind wir die einzigen im Bus, sodass mich die Fahrt immer mehr an Trolleybusträume aus der Kindheit erinnert, wenn ich im Bus Nr 104, dem letzten der alten Serie der Verkehrsbetriebe St.Gallen (VBSG), nächtens unterwegs war. Irgendwann wurde ich dann älter und wollte nicht mehr Trolleybuschauffeur werden.

Unsere Fahrt endet am Platz der Republik in Coimbra und dort geschieht, was typisch ist für Trolleybusse: Der Stromabnehmer kommt von seiner Oberleitung ab und der Bus bleibt stehen. Typisch warum? Der Stromabnehmer ist der heikelste Teil des Systems, denn dieses ist einerseits vom Verlauf der Fahrleitung abhängig und hat anderseits ein eigenes Andruckgewicht, welches mit Federn an den beiden „Ruten“, wie die Chauffeure in St. Gallen sie nannten, geregelt wird.
Und da nun ist etwas schief gegangen mit unserem Trolleybus am Platz der Republik und deshalb gibt es das Bild mit den abgehängten Stromabnehmern, die der Chauffeur gerade wieder an die Stromleitung ansetzt.

Und unter den Talaren...

In Coimbra lernen 17 000 Studentinnen und Studenten an einer der weltweit ältesten Universitäten.Die Stiftungsurkunde datiert von 1290, also aus dem Jahr vor der Gründung der Eidgenossenschaft. Im Reiseführer hiess es, nach einer alten Tradition hätten sich die Studierenden lange Jahre in schwarze Talare gekleidet, heutzutage allerdings würde er nicht mehr häufig getragen. Diese Schwarzröcke, auch wenn es nicht mehr viele sein sollten, wollten wir sehen und deshalb fuhren wir von Figueira da Foz nach Coimbra.

In Coimbra angekommen, steigen wir die engen Treppen und Gassen hoch auf den Hügel der Universität – und siehe da: Zu unserer grossern Ueberraschung sind überall Studenten in Talaren zu sehen. Unter dem wallenden Kleid tragen sie, die Mädchen genau so wie die Jungen, weisse Hemden mit schwarzen Kravatten und passend zum Talar einen schwarzen Anzug, die Mädchen einen schwarzen Jupe mit Jackett. Und dies bei der Affenhitze, die an dem Mittag noch im Schatten vor dem Hauptgebäude durch alle Poren dringt.

Offenbar, so hören wir, ist heute der erste Tag im neuen Semester. Es sei Tradition, dass die Studierenden der höheren Jahrgänge sich mittels Talar von den Neuen abheben wollten, die noch kein Recht auf den Talar erworben hätten, sondern sich dieses Privileg erst ein Jahr lang ersitzen müssten.

Soll man lachen über soviel Ernst? Es gab mal eine Zeit bei uns und anderswo, da kamen Neue an die Unis und nicht einmal die Professoren getrauten sich, den Talar zu tragen, am ersten Tag nicht und auch nicht während des Semesters. Denn damals lachten die Jungen die Alten aus, weil die Jungen partout nicht zur Elite der Alten gehören wollten. Ganz im Gegenteil, sie gedachten, den Eliten an der Uni, allen Eliten der Gesellschaft den Garaus zu machen. Doch dies ist lange her – wie hiess der Slogan noch von damals? „Unter den Talaren, der Muff von 1000 Jahren.“

Sonntag, 12. September 2010

Eine lange Tagesetappe

Wir hatten eine lange Tagesetappe vor uns und legten deshalb schon um 6 Uhr morgens ab, um im fremden Hafen noch im letzten Tageslicht einzulaufen. Es war stockdunkel und die hellen Scheinwerfer des Fischerhafens von Polova de Varzim blendeten uns. Ich sagte zu Agnes: „Hilf mir sehen“, und so starrten zwei Augenpaare in die Dunkelheit zur westlichen Hafenmauer, der wir nicht entlang schrammen wollten und dann in der Richtung eines östlich der Hafenausfahrt gelegenen Felsbrockens, der laut Karte maximal 1,8 m aus dem Wasser ragen würde.

Alles ging gut, bald wurde es Tag und eine wärmende Sonne stieg immer höher am Himmel. Nur Wind hatten wir keinen und wir mussten motoren. Bei 75 Meilen Distanz und 5 Meilen pro Stunde, so unser Plan, wären wir 15 Stunden unterwegs, würden also um 21 Uhr eintreffen, in Figueira da Foz, wenn es schon praktisch Nacht sein würde. Dazwischen gab es nur Aveiro, aber nur für den Notfall. Denn laut Handbuch hatte es dort keinen Hafen und nur schlechten Ankergrund.

Wir passierten Aveiro am Mittag. Dann erst kam endlich Wind auf, schwächer als erwartet und vor allem nicht zunehmend, wie in der Wetterprognose versprochen. Wir segelten dennoch ganz zufrieden vor uns hin, ein Auge immer auf die Marschtabelle gerichtet. Kurz nach 17 Uhr fiel der Wind in sich zusammen und wir mussten erneut den Motor anwerfen. Eine schöne Strömung hatte uns aber inzwischen einen Super-Vorsprung auf den Zeitplan verschafft. Und das war gut so. Denn im Handbuch hatten wir gelesen, dass uns am Beginn des Flusses Mondego eine Sandbank erwarten würde, auf der die Wellen brechen und Boote in Gefahr bringen könnten. Ein grün-rot-grünes Signal würde uns gar anzeigen, wenn die Einfahrt für grössere Boote verboten war. Bei Absenz des Signals sei die Einfahrt sicher, „mindestens für Boote über 300 t“, hiess es im Buch. Im ärgsten Fall, so sagten wir uns, würden wir halt die Nacht durch direkt nach Lissabon segeln, dann wäre es wieder Morgen und wir könnten bei Tageslicht an dem fremden Ort einlaufen. Aber kurz vor einem Hafen rechtsumkehrt zu machen, ist psychologisch betrachtet nicht ganz einfach.

Unser Plan B erwies sich als unnötig. Als wir mit grossem Vorsprung auf unseren Zeitplan (Vielen Dank, liebe Strömung!) bereits um 19 Uhr an der Mündung des Rio Mondego ankamen, war das Meer ruhig und über der Sandbank hatten wir sichere 7 Meter unter dem Kiel. So tuckerten wir die halbe Meile hoch zur Einfahrt in den hübschen kleinen Hafen von Figueiro da Foz, legten an und ich kriegte ein Bier. - Abgesehen von der Windprognose war heute alles easy-peasy gelaufen. So sollte es immer sein.

Bild: Der Tracker zeichnet unsere Etappen in Echtzeit nach. Link: http://bit.ly/b5feTY

Donnerstag, 9. September 2010

Blog, Blogger, am Bloggersten

Ein ganz herzlicher Gruss geht von hier in diesem Blog nach Hägendorf im Kanton Solothurn, wo ein Leser/eine Leserin wahrscheinlich gerade jetzt den Text angeklickt hat. Liebe Grüsse richte ich auch nach Rostock an eine unbekannte Seele im hohen Norden Deutschlands. Ich weiss nicht, wer Du bist, aber ich übermittle Dir an dieser Stelle gerne den Satz, den wir alle schon mal als SMS bekommen haben: „Schön, dass es Dich gibt.“

Ein Rätsel bleibt die Lesequote in Israel: 11mal wurde der „Miranda-II“-Blog dort angeklickt. Ich habe mein Hirn zermartert, wer das sein könnte – kein Name kommt mir in den Sinn. Und so nehme ich an, es ist der Mossad. Herzlich willkommen, liebe Geheimdienstler.

Der US-Spitzenwert im Bundesstaat Rhode Island hingegen ist klar: Vielen Dank, liebe D., für Deine Treue. Und auch, dass Du mich in der 7gb im Latein hast abschreiben lassen. Ich habe eine Vier im Zeugnis wirklich gebraucht.

Soweit sozusagen die Exoten. Denn meine Home Basis ist ganz eindeutig Zürich. Die Stadt hat einen grossen dicken dunkelorangen Ring in der graphischen Darstellung meines verehrten Publiums. Dankedanke, Ihr Lieben. Schluchtzz.

Woher ich das alles weiss? Antwort: Google-Analytics. Das kleine Tool, das in den Quelltext der Webseite des Blogs hineingepastet werden muss, sagt mir jeden Morgen, total anonymisiert natürlich, wieviele Freunde, Bekannte – oder eben Unbekannte den Blog am Vortag gelesen haben. Und auch, was besonders gut läuft: Einsamer Hit war ein Beitrag über Pinkeln an Bord. Offenbar interessiert Menschliches, allzu Menschliches auch in unseren gehobenen Schichten. Das erklärt wohl, warum Schweizer Newsseiten immer mehr auf Fait divers setzen – schliesslich verwenden auch sie Google Analytics. Schlechte Zahlen hat der Blog an den Wochenenden, wenn alle an der frischen Luft sind. Ganz klar die tote Zeit im Internet.

Die nächste Stufe wäre nun, die Leserzahlen auf die Werbemühle bei Google zu leiten, die es auch gibt.Man muss sich nur registrieren und dann schaltet Google Inserate neben den Blog-Text und mit der Zeit fliessen Hunderte, vielleicht Tausende von Franken auf das eigene Konto. Ihr könnt mich also reich machen, meine Lieben, wenn ihr Euch nur vermehrt! Doch wollen wir das wirklich? Es ist doch eigentlich viel interessanter, einen Leser (eine Leserin?) in Hägendorf zu haben, und zu rätseln, um wen es sich handelt – als Hunderttausende in der ganzen Welt, die man beim besten Willen nie persönlich kennen kann.

Mittwoch, 8. September 2010

Bei Lello in Porto

Die Buchhandlung Lello an der Rua das Carmelitas 144 in Porto zieht, so scheint es, mehr Fotografen als Leser an. Alle paar Minuten blitzen sie in die geschwungene Treppe hinein, welche mitten im Ladenlokal zu einer Galerie hinauf führt, indem die Stufen sich auf halber Höhe teilen in einen linken und einen rechten Aufgang. Die Treppe ist ein Abbild der Stadt, die an einen Hang gebaut ist und in der es dauernd Steigungen zu überwinden oder Gefälle zu meistern gibt. An grossen Kreuzungen kann man fünf oder sechs Strassen sehen, von denen vielleicht zwei aufwärts und drei abwärts führen. Auch abenteuerlich ansteigende und abfallende Tramgeleise gibt es in der Stadt. Und folgerichtig hat es auch mitten in der Buchhandlung ein Geleise. Es führt vom Eingang mit einer eleganten S-Kurve an der Treppe vorbei, richtige Schienen sind in den Holzboden eingelassen, in denen ein Bücherwagen (Bild) rollen kann. Neuste Lieferungen lassen sich damit direkt von der Ladentür zu den Gestellen transportieren.

Wer den Laden betritt, trete in die Vergangenheit ein, steht in den Reiseführern über Lello. Dies stimmt, wenn man darunter versteht, dass Buchläden literarische oder bibliophile Vorlieben ihres Besitzers wiederspiegeln – und nicht einfach die Bestellerliste aufgereiht haben sollen. Und in der Tat: Werke von Hannah Arendt finden sich neben einer neusten Biografie über Salazar, den früheren Diktator Portugals. Gleich neben Salazar ist, ebenfalls in portugiesischer Sprache, der Roman des englischen Schriftstellers David Nicholls („One Day“) aufgelegt. Im Obergeschoss dann sind thematisch geordnet die Sachbücher, eines davon handelt von nichts anderem als der Tomate.

Ein Rätsel bleibt das Angebot auf halber Höhe, zwischen Buchgestellen im Parterre und Galerie. Dort gibt es Glasschränke, hinter denen Hunderte von Büchern eingeschlossen sind. Man müsste eine Leiter hochsteigen, und die Glastüren öffnen, um zu sehen, um welche Titel es sich handelt. Aber es gibt keine Leiter, im ganzen Laden nicht. Sind es bibliophile Kostbarkeiten? Verbotene Literatur (Salazar)? Oder sind die Schränke nur noch Teil einer etwas schrulligen Kulisse wie die grosse Treppe und der kleine Schienenwagen?

Dienstag, 7. September 2010

Bei den Fischern

Heute nachmittag band ich meinen Reserverkanister auf den Lastrolli und machte mich auf den Weg zur Diesel-Tankstelle, die ich laut Auskunft circa einen Kilometer entfernt im Fischereihafen finden würde. Ich lief der Hafenmole entlang und bog dann in eine Hafenzufahrt ein, die von verschiedenen Gebäuden gesäumt war. Fischer hatten dort die Garagentore ihrer Lager geöffnet; einige waren dabei, ihre Netze zu flicken, die sie auf eine Art Rahmen aufgespannt hatten. In einem andern Gebäude, einer riesigen offenen Halle mit Plättli-Wänden, waren Männer in weissen Plastikschürzen damit beschäftigt, den Boden abzuspritzen, wahrscheinlich fand dort der Warenumschlag en-gros statt.

Entlang des Trottoirs kam ich an mehreren Frauen vorbei, die lautstark frischen Fisch zum Kaufe anpriesen, den sie auf Zweiradkarren in Eis gelagert feil boten. In einem Hafenroman wären sie wohl als „Fischweiber“ apostrophiert würden. Die älteren unter ihnen hatten schwarze, selbst gehäkelte Schleier um den Kopf, um sich vor der prallen Sonne zu schützen. Es gab rege Kundschaft von anderen Frauen, die mit Kindern zu diesem improvisierten Verkaufsort gekommen waren. Männer waren in dem Markttreiben keine zu sehen.

Bei der Tankstelle „Repsol“ angekommen sah ich, wie ein dicker schwarzer Schlauch von der Zapfsäule zur „Maya“ gelegt war, einem roten Fischerboot, dessen Kapitän etwas missmutig in der Führerkabine hockte und einem Mechaniker zuschaute, welcher sich im Motorraum abmühte. Ich genierte mich nun ein bisschen, nur 20 Liter zu benötigen. Doch es war gar niemand da, der die „Maya“ betankt oder mir die Kleinmenge abgezapft hätte. Ich guckte durch die Glastür des kahlen Büros, das mit einem Stahlpult und einem Drehstuhl möbliert war. Neben dem Pult befand sich ein Riesenfauteuil, auf dem der Tankwart sich ausruhen konnte. Und darüber war ein Spiegel, in welchem ich mich selbst etwas blöde hereinschauen sah.

Ich wollte den Missmutigen der „Maya“ nicht behelligen und ging zur „Pierre-André“ hinüber, einem Trawler, an dessen Seitenwand zwei Männer blaue Farbe über eine weisse Grundierung anbrachten. Ich sagte „Diesel“ und machte mit der Hand behelfsmässig einen Tankstutzen nach. Einer der Männer antwortete in bestem Französisch: „Il est allé prendre un pot.“ Das muss man mir nicht zweimal sagen und so trabte ich Richtung Café, das jedoch geschlossen war. Was nun? Ich ging zurück und gerade als ich wieder bei der Tankstelle ankam, stoppte ein alter Ford Escort vor dem Fauteuil-Büro, wie man nur stoppt, wenn man dort arbeitet. Ein Mann mit einer „Repsol“- Mütze stieg aus und begann zu reden, aber nicht mit mir, und auch nicht am Handy, sondern laut und auf mehrere Meter Distanz zu dem übel gelaunten Kapitän der „Maya“. Dann füllte er, ohne ein Wort an mich zu richten, meinen Reservekanister und hielt bei genau 25 Euro inne. Ich gab ihm eine 20er und eine 5er Note und sagte „Obrigado.“

Auf dem Heimweg sah ich, dass die Marktfrauen sich inzwischen alle auf ein Mäuerchen gesetzt hatten und miteinander plauderten. Dabei fiel mir eine einzige junge Frau auf, sie hatte Sternenaugen und gefärbte rote Haarsträhnen. Und sie lachte im Reden und schaute mich kurz an. Ich überlegte im Weitergehen, wie es wäre, wenn ich diese Frau nun heiraten würde. Solche Schicksalswendungen liest man ja in Romanen. Für die junge Frau würde sich wohl nicht viel ändern und sie würde weiterhin am Nachmittag ihren Fisch verkaufen. Ich hingegen müsste morgens um 3 Uhr mit ihrem Vater oder Bruder zum Fischfang auslaufen. Und unser Trawler würde jene Wellen beim Herausfahren verursachen, die uns jetzt, in unserem behaglichen Bootsleben am andern Ende des Hafens, leicht schaukeln in unserer Koje. Am Ende würde ich am Nachmittag auch noch zum Netze-Flicken aufgeboten. Dann dachte ich auch noch, dass man in Zürich über mich reden und lachen, auf jeden Fall den Kopf schütteln würde.

Sonntag, 5. September 2010

Das Dschunken-Segel

Alistair war heute Vormittag im Hafen damit beschäftigt, sein Segel mit Süsswasser zu reinigen. Er versammelte sofort eine Menge Leute um seinen Steg herum. Warum? Sein Vorsegel ist von ganz besonderer Art: Es ist an einem vorderen, zweiten Mast angebracht und hat die Form eines Junk-Rigs, eines Dschunken-Segels; dieses wird wie ein Gaffel-Segel mit einem Baum gehisst und ist "durchgelattet", in Alistairs Fall sind es Alu-Rohre.
Vorteil ist, dass sich das Segel, wenn der Wind zunimmt, mit grösster Leichtigkeit reffen lässt, sagt Alistair, Nachteil, dass es nicht unbedingt ideal ist für Am-Wind-Kurse. Inzwischen ist Alistairs Frau hinzu gekommen. Sie sagt, für sie sei der grösste Vorteil des Junk rigs, dass sie das Segel – wenn sie allein auf Wache sei – mit einer Hand bedienen könne. Jetzt erst sehe ich, dass die Frau nur einen Arm hat, den linken Aermel ihrer blau-karrierten Bluse hat sie in ihren Jeans-Bund gestopft. Sie geht am Stock und sie meint dann, sie planten, im Winter an der Algarve zu bleiben, weil sie wegen ihrer Krankheit immer wieder nach England zurück fliegen müsse. Das Paar ist seit acht Jahren unterwegs mit dem sehr speziellen Segel. Ob das auch die Anzahl Jahre ist, da die Seglerin, allein auf Wache, das Segel so praktisch bedienen kann?

Das Ungeheuer

Gestern hatten wir es mit einem Seeungeheuer zu tun. Laut Karte sollte es sich sechs Meilen nördlich von Povoa de Varzim aufhalten. Natürlich handelte es sich in Wirklichkeit um ein Industrieprodukt, niemand glaubt mehr an Fabelwesen. Gebaut worden war das Ungeheuer von der Firma „Pelawis Wave Power“, finanziert hatte dieses erste Wellenkraftwerk vor der portugiesischen Küste ein britisches Unternehmen, Babcock & Brown, zusammen mit portugiesischen Investoren. Das Ding sollte als eine Art bewegliche Schlange umweltfreundliche Wellenenergie produzieren, die auch die „Windenergie des Meeres“ genannt wird.

Das Wesen würde sich, so las ich im „Reeds“, einem unserer Handbücher, knapp unter bzw. an der Wasseroberfläche befinden; weithin sichtbare Seezeichen seien verankert worden, um auf das Ungeheuer aufmerksam machen. Wir segelten kurz vor der eingezeichneten Stelle hinter einer Yacht her, die etwa gleich schnell war wie unser Boot. Irgendwann bemerkten wir, dass deren (und damit auch unser) Kurs infolge Strömung dazu führen würde, dass wir dem Ungeheuter zum Frass vorgeworfen würden. Wir änderten unseren Kurs und segelten auf der westlichen Seite sicher an den gelbschwarzen Seezeichen vorbei, den Wächtern der Seeschlange, welche selbst nirgendwo zu entdecken war. Auch das andere Boot hatte den Kurs geändert und war südöstlich gesegelt. Wo aber war das Ungeheuer, die mehrgliedrige etwas übergewichtige rote Schlange mit dem schmalen Kopf?

In Povoda de Varzim ging ich aufs Internet und schaute bei Wikipedia unter Wellenkraftwerk nach. Dort las ich zu meiner grossen Ueberraschung, dass das Ungeheuer sich gar nicht mehr an der gefürchteten Stelle im Meer befand, sondern selbst einem andern Ungeheuer zum Opfer gefallen war, das den Namen „Finanzkrise“ trägt. Kaum war das Wellenkraftwerk nämlich im Juli 2008 eingeweiht worden, musste es zurück in den Hafen von Leixeos (Bild) geschleppt werden. Die entstandenen Probleme mit Auftriebskörpern konnten rasch gelöst werden, doch im September, als ein neuer Versuch gewagt werden sollte, geriet die Finanzierung ins Stocken: „Babcock & Brown“ befand sich mittlerweile in der Kreditklemme und bekam, wie viele andere Unternehmen auch in jenem crashenden Herbst, kein Geld mehr, Geld, das nötig gewesen wäre, um das Ungeheuer wieder in den Atlantik hinaus zu bugsieren. Dann versiegten die gesamten Geldströme für das Projekt, Assets wurden verkauft und die portugiesischen Joint-venture-Partner stiegen aus.
Heute, drei Jahre nach der Finanzkrise, ist das Wellenkraftwerk von Leixeos nur noch ein stummer Zeuge dafür, dass nicht einmal Seeungeheuer mehr sicher sind vor den modernen Herrschern der Welt und ihren Investmentbanken.

Donnerstag, 2. September 2010

Die Hochzeitsgesellschaft (Teil II)

Wir hatten kürzlich über eine Telenovela im spanischen Fernsehen berichtet, einer Hochzeitsgesellschaft. Es schien, als ob die Schwester der Braut kurz nach der Hochzeit mit dem frisch angetrauten Ehemann anbandeln wolle.

Aus meinem verehrten Blog-Publikum bin ich mehrfach angefragt worden, ob sich der Plot tatsächlich so entwickelt habe. Seit gestern abend weiss ich die Antwort. Sie lautet: Ja - doch ist alles noch viel dramatischer.

In der Episode von gestern nach 17 Uhr (wir haben hier in Portugal eine Zeitverschiebung und deshalb die Visionierung in einem ersten Anlauf verpasst)...in der Episode also von gestern sahen wir den ehemaligen Bräutigam in jenem Doppelbett, das wir mit den seidenen Kissen bereits kennen, das Bett nämlich im offenen Schlafgemach der Schwester der Braut. Er trägt ein grässliches schwarz-gelb gestreiftes Pyiama, wirkt noch leicht verschlafen, ist aber bereits darin vertieft, ein SMS zu tippen. Die Kamera schwenkt dann vom Mann ins Untergeschoss, wo die Schwester – oder besser gesagt: die Nebenbuhlerin - in einem weissen Bademantel in ihrer super teuren Küche hantiert. Aha, sie macht das Frühstück, denkt man. Und schon ist eine neue Einstellung da: Der Mann ist bereits in Anzug und Krawatte, hat eine Ledermappe unter dem Arm und gibt nun der Frau zum Abschied eine Art Nasenstüber, den ich mir – wäre ich sie – nicht bieten lassen würde.

Aber item: Dass er in leitender Stellung tätig ist, haben wir richtig geraten in unserem ersten Bericht. Denn nun sehen wir ihn an der Arbeit, genauer gesagt mit weissem Helm auf einer Bauselle, einem eben fertig betonierten x-ten Geschoss eines Büroturms. Er hat ein Plandokument in der Hand und diskutiert mit einem Polier (würde ich mal raten), einem Mann jedenfalls in einem gelben, in der Farb-Hierarchie also klar niedrigeren Helm.

Nun wechselt die Einstellung und wir sehen die verlassene Braut, wie sie mit der Mutter telefoniert. „Tu es nicht, Dolores“, sagt die Mutter, wenn ich richtig verstanden habe. Als die Kamera in die Totale geht, sehen wir nicht nur, dass die Verlassene in ihrem grossen Garten vor einer üppigen Blumenrabatte telefoniert hat, sondern auch dass sie hochschwanger ist. Um Fragen aus dem Blog-Publikum zuvor zu kommen: Für mich blieb völlig offen, was Dolores nicht tun soll. Für eine Abtreibung ist es jedenfalls zu spät. Geht es um Scheidung? Oder will sie das Kind weggeben - Stichwort Babyklappe?

Die letzte Einstellung bringt uns wieder zurück auf die Hochhaus-Plattform. Dort ist aus der Diskussion von vorhin ein handfester Streit geworden. Unser Weisshelm gestikuliert aufgeregt mit dem Plandokument, in der Hitze des Gefechts fällt es ihm aus der Hand. Und wie er danach greifen will, schiebt ein Wind es am Boden ein bisschen hinter ihn. Er tut einen Schritt rückwärts, sich zur Seite bückend, um es aufzuheben, und touchiert dabei die offenbar nicht richtig montierte Holzbrüstung am Rand des Geschosses. Jetzt zeigt die Kamera entsetzte, weit aufgerissene Augen des Poliers. In der nächsten Einstellung blicken wir bzw. die Kamera, senkrecht nach unten, wo Menschen zusammen laufen und ein unregelmässiges Oval bilden. Man sieht nichts genaues in der Mitte des Ovals, weiss aber trotzdem, was passiert ist.

Mittwoch, 1. September 2010

Klo-Geschichten

An einem gewöhnlichen Morgen gibt es keine schlechtere Nachricht als der Ruf aus dem stillen Ort: „Das Klo ist kaputt.“ Denn die Arbeit des Reparierens kann unschön ablaufen, gelinde gesagt. Wenn etwa wegen eines verstopften Rohrs noch Druck in der Leitung ist, passiert es, dass einem gleich zu Beginn der Pannenbehebung erst einmal der Rohrinhalt um die Ohren fliegt, wie ich aus Erzählungen unglücklicher Bootseigner weiss.

Ich näherte mich dem Klo deshalb mit dem allergrösstem Respekt, getrieben auch von der Furcht, das Ding am Ende noch ganz zu ruinieren, statt es zu reparieren. Und dann gute Nacht! Agnes hatte derweil schon mal ein Service Kit gefunden, von welchem ich keine Ahnung mehr hatte. Es enthielt das „Seal housing assembly 29044-2000“ für WCs der Marke Japsco, weltweit der Goldstandard der Bord-Toiletten.

Ein im Kit enthaltenes Manual riet zu folgendem Vorgehen:

1.Unscrew the seal housing assembly, using a 18mm spanner and remove the entire piston rod assembly from the toilet.

2. Wrap some tape around the piston rod. Grip the piston rod through tape, unscrew the handle and remove bumper washer.

3.Slide the old seal assembly off the piston rod. Wrap one turn of tape around the thread at the top of the piston rod to protect the new seal and slide the new seal assembly onto the piston rod.

Hier eine Zwischenbemerkung: Das ist ein wirklich guter Ratschlag, das Gewinde zu ummanteln mit Tape, sonst ist man nach der Reparatur wieder gleich weit wie vorher, weil man die neue Dichtung schon beim Einsetzen am Gewinde kaputt gescheuert hat.

4.Slide the whole assembly back into the pump cylinder.

Und so geschah es: Nach einer Stunde Werweissen über die Einzelteile des 29044-2000er Kits und zehn Minuten Zusammensetzen bzw. Auswechseln des Seal assembly atmete ich auf. Alles wieder fertig montiert.

Nun blieb noch ein letzter Punkt, der Test der Anlage. Frage: Wie probiert man eine eben reparierte Toilette aus, ohne im Fall einer missgelungenen Reparatur erneut mit unschönen Vorkomnissen rechnen zu müssen. Für dieses Problem gibt eine einfache Lösung: Man kauft eine Dose Katzenfutter, das Fleisch hat die gleiche Konsistenz wie der mutmassliche Rohrinhalt, ist aber angenehmer im Handling. Gesagt getan. Und grosses Aufatmen: Spülung gut – Pumpe dicht.

Ah ja noch etwas: Den Rest des Katzenfutters bekommt jetzt der Hund unserer Holländer von nebenan.

Dienstag, 31. August 2010

Die Kerzen der Hl. Luzia

Als Tourist besucht man immer wieder Kirchen, ohne eine wirkliche Kenntnis kulturhistorischer Zusammenhänge zu haben und auch nicht aus Frömmigkeit. Es geht, ehrlich gesagt, oft nur darum, an einem fremden Ort einen Nachmittag irgendwie tot zu schlagen. Und so haben auch wir heute in Viana do Costelo die Standseilbahn genommen und sind 690m zur Kirche der Hl Luzia hoch gefahren, die – so ist auf der Rückseite des Billetts zu lesen - der Sacre Coeur von Paris nachempfunden sei
Wir sind zuerst in eine Beiz gegangen und haben dann erst nach einer halben Stunde und frisch gestärkt den „Templo“ in Angriff genommen.
Wie in vielen andern Kirchen kann man auch hier, und nun komme ich zum eigentlichen Thema, Kerzen anzünden.. Das ist eine schöne Sache. Die bereits brennenden Kerzen laden jeweils gerade zu ein, auch einen Obolus zu entrichten und mit seiner Kerze einen Wunsch in eigener Sache zu verbinden oder wenigstens an jemanden zu denken.
In der Sacre Coeur von Viana do Castelo nun erwartete uns eine Überraschung, ein, man kann es nicht anders sagen, erstaunliches Kerzensystem, eines, das punkto Effizienz und Technik alles Bekannte schlägt. Bei den Kerzen in der Kirche auf dem Hügel oben handelt sich nämlich nicht um Kerzen aus Wachs und einem Docht, sondern um elektrische Lampen, die mittels Einwerfens von Geldstücken in einen Schlitz angezündet, besser gesagt: eingeschaltet werden. Die „Lampadias" verbreiten dann einen durchaus kerzenhaften Schein, sodass ich den Trick zunächst gar nicht bemerkte. Das geniale ist, dass man mit einem 50-Cent-Stück auf einen Schlag vier Kerzen anzünden kann, mit einem Euro sogar acht. In andern Kirchen gibt es eine solche Economy of scale nicht, man muss jede Kerze einzeln zum Brennen bringen.
Warum diese technische Lösung für etwas, wo Technik doch die Gedanken stören muss an die Fürbitte? Wie erklären sich die merkwürdigen Mengen-Tarife (1 Kerze für 10 Cents, 8 Kerzen für 1 Euro - ein negativer Discount)? Wollte die katholische Kirche mit den Elektro-Kerzen nur mit der Zeit gehen? Hat also ein frommer Technik-Freak die Einrichtung des Systems innerkirchlich durchgesetzt? Was denkt die Kirche punkto Fürbitte über das unvermeidliche harte Abschalten der Kerzen statt des langsamen Niederbrennens? Fürchtet man hoch über der Stadt eine Brandgefahr – oder nur die Möglichkeit des Kerzenbetrugs? Fragen über Fragen.