Sonntag, 31. Oktober 2010

Im Botanischen Garten

Weil Agnes sich für Pflanzen interessiert, besuchen wir wo immer vorhanden den Botanischen Garten.. Während sie begeistert Bäume, Sträucher und Gräser entdeckt, bemühe ich mich, wenigstens interessierte Bemerkungen zu machen. So in der Art: „Ja, sieh mal“, oder bewundernd: „Und welche riesige Früchte!“

Trotz meines laienhaften Interesses sind die Visiten in der grünen Umgebung ein grosser Gewinn. Im Botanischen Garten von Funchal habe ich zum Beispiel zum ersten Mal die Ananas-Pflanze gesehen. Die Frucht selbst, die wir von festlichen Desserts kennen, trohnt in freier Natur in der Mitte einer Rundpflanze, deren lange Blätter um sie herum scharfe Dornen haben. Man muss, um der Ananas habhaft zu werden, also zuerst die Abwehr der sie schützenden Speere überwinden.

Auch den Ingwer (Bild) habe ich persönlich erst jetzt in Funchal kennen gelernt, seine Wurzel schützt vor Seekrankheit und ist sozusagen nebenbei auch eine wunderbare Zutat.
Doch als Pflanze ist der Ingwer trotz seines hohen Gebrauchswerts total bescheiden geblieben. Schliesslich gab es Kurkuma zu sehen, auch so ein Name, der einem nur auf dem Gewürzgestell begegnet und kaum je in Freiheit.

Apropos Freiheit: Am Schluss stellten wir erstaunt fest, dass dem Botanischen Garten ein Gefängnis angegliedert ist. Die Dutzenden von Häftlinge waren alle unter freiem Himmel in ihren Zellen zu besichtigen, ein kleines Guantanamo. Sie waren aus einem völlig absurden und willkürlichen Grund hinter Gitter gekommen, nämlich weil sie ein farbiges Gefieder zur Schau trugen – oder gut singen konnten. Alle sind sie dann zu einer lebenslangen Strafe verurteilt worden und verbüssen sie nun in einer ausbruchssicheren Anlage, die euphemistisch Voliere genannt wird. Wenn es für diese Gefangenen eine Ausschaffunginitiative gäbe, würde ich am 28. November von Herzen mit Ja stimmen.

Freitag, 29. Oktober 2010

Die Inseln im Atlantik

Unter weitgereisten Journalisten ist der Taxifahrer die ultimative Informationsquelle. Was immer er zwischen Flughafen und Hotel sagt, verdichtet sich zu Sätzen wie „In der lokalen Bevölkerung herrscht die Meinung, dass...“ Wir nun sind in der glücklichen Lage, auf Madeira eine bessere Quelle zu haben, nämlich Filomena und ihren Mann Joao. Das Paar, sie Lehrerin, er Revisor, hat uns heute hoch über dem Hafen von Funchal in ihrem wunderschönen Haus mit grandioser Aussicht auf Kreuzfahrtschiffe und die weite See zum Essen eingeladen.

In meiner Ferienlaune in dem hügeligen Paradies nahm mich sofort wunder, wo eigentlich MadeiranerInnen Ferien machen, die ja das ganze Jahr ein Ferienambiente um sich haben? Erstaunliche Antwort: Gleich wie wir – nämlich auf den Kanaren. Und es folgte eine schwärmerische Beschreibung der Canarias mit den schönen Stränden undundund.

Mir kommt das vor, als würden Zermatter in St. Moritz Ferien machen. Anderseits: Zürcher fliegen ja auch nach Berlin wegen der Stadt und der Clubszene dort, welch letztere sie genau so gut im Kreis 5 erleben können – wie die Madeiraner den Strand im nahegelegenen Porto Santo.

Hinter der Vorliebe der Madeiraner (Achtung: Taxifahrer-Verallgemeinerung!) für die Kanaren verbirgt sich aber auch eine Verbundenheit mit den andern Insulanern im Atlantik. Filomena jedenfalls sagte uns, sie fühle sich „dem Kontinent“, also Portugal, weniger verbunden als zum Beispiel den Azoren; und sie wünscht sich eine Union zwischen den autonomen portugiesischen Gebieten der Azoren und Madeira sowie den Kanaren und den Kapverden.

Wie sollte dieses 193. Land der Uno heissen? Mir fiel auf der Heimfahrt ein Name ein, der mir sofort gefiel: The United States of Atlantis.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Bullenstander

Was ist ein Bullenstander? a) die Fahne eines Stierkämpfers? b) der erigierte Penis eines Bullen? c) eine Lebensversicherung? Antwort: c). Und eine solche Lebensversicherung haben wir heute gebastelt. Der Bullenstander ist nichts anderes als ein Seil (Bild), das den herausgeklappten (gefierten) Baum des Grossegels in fixer Position hält bei Wind von hinten. Wenn der Steuermann einen Fehler macht und der Wind plötzlich von der falschen Seite her in das Segel bläst, es mit einem Knall auf die andere Seite schiessen will, dann hält der Bullenstander das Segel von diesem gefährlichen Geschehen ab, das ebenfalls einen speziellen Namen hat: Patenthalse. Für die Fans: Wir haben die beiden Leinen nicht mit Umlenkrollen nach hinten geleitet, sondern mit Schäkel, weil wir aus bitterer Erfahrung wissen, dass Umlenkrollen (bzw. ihre kleinen Schäkel) der knallenden Spitzenbelastung nicht 100prozentig sicher gewachsen sind.

Montag, 25. Oktober 2010

Quinta do Lorde

Ein kleiner Begrüssungsthörn für Jean-Pierre, unser neues Crew-Mitglied. Unser Cousin hat bereits eine Atlantik-Ueberquerung mit uns gemacht, vor vier Jahren, heute haben wir nun sozusagen die ersten 29 Meilen der zweiten absolviert, mit einem Wind, der uns gestossen hat. Ergo wurde Schmetterlingssegeln ausprobiert, Grossegel nach links geklappt, Vorsegel nach rechts. Auf Französisch: ciseaux. Jetzt sind wir im Osten von Madeira, in Quinta do Lorde, und blicken auf Berggipfel. Fast wie bei Ferien im Wallis.

Samstag, 23. Oktober 2010

Apfelmus

Wir können jeden Tag frischen Fisch essen, Muscheln, Seafood ganz allgemein, doch gestern meldete sich das Stammhirn und sandte gebieterisch eine Message ans Grosshirn: "Gehacktes mit Hörnli und Apfelmus, bitte." Die Hörnli gabs irgendwo im Schiffsbauch, Gehacktes war schnell gekauft, aber wo sind die Apfelmus-Büchsen? Das gibts hier schlicht nicht, man muss von einem Apfelmus-Röstigraben reden, der Europa trennt: Südlich der Pyrenäen ist die Beilage unbekannt - was nun?
Die meisten von uns sind hervorragende Köche, die auch ohne Garthermometer und aufwändige Backofen-Software einen Rehrücken perfekt hinkriegen. Wenn ich jeweils die Bilder meiner Facebook-friends betrachte von ihren kulinarischen Unternehmungen, dann gibt es schlicht kein Rezept, an das sie sich nicht wagen würden. Aber nun Apfelmus...hmmm - wie geht das? Sicher total einfach, aber...weiss das jemand?
Hier mein Handgelenk-mal-Pi-Rezept: Aepfel schälen und stückeln, Zucker und Zimt darüber, in wenig Wasser köcheln (mit einem Schluck Weisswein oder Apfelsaft dazu), abkühlen lassen und fertig. Nein: noch pürieren mit dem Pürierstab, der zu jeder soliden Bordausstattung gehört. Geht alles fast so schnell wie Büchsenöffner suchen, Büchse aufmmachen und später zur Abfalltrennung und zurück zu tigern, um die leere Büchse wieder loszuwerden. Das Stammhirn freut sich. Und Fisch gibts dann morgen wieder.

Freitag, 22. Oktober 2010

33/16

Die Marina von Porto Santo, nordöstlich von Madeira heisst 33/16 weil sie auf dem 33. Breitengrad liegt und sich mit 16 Grad gut eine Stunde westlich von Greenwich befindet. Es ist deshalb länger dunkel am Morgen als in Lissabon, doch dann erleben wir ein helles südliches Sponnenlicht, das auf karge Hügel herunter brennt und das uns zum erstenmal das Gefühl gibt, wirklich weit weg gesegelt zu sein. 1400 Seemeilen sind es seit dem Start in Nantes Mitte Juli, sagt unser Logbuch.

Unsere schwedischen Nachbarn von Lissabon sind fast gleichzeitig mit uns eingetroffen. Sie hatten weniger lange zugewartet in der Flaute und den Motor früher angeworfen. Wir sind deshalb wieder einmal sehr stolz auf unsere Ovni 35, die auch in leichten Winden noch super gut läuft. Die Ankunft haben wir dann mit Margareta und Sune zusammen gefeiert in der Hafenba. Danach gab es an Bord der "Miranda II" den üblichen Chillout-Tag nach einem langen Trip, also Nichtstun, ausser duschen, ein bisschen aufräumen und die Oeffnungszeiten der Hafenbar testen. Morgen wollen wir dann sehen, was die Insel für uns bereit hält.

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Nachtwache

"Darf ich Dir Cassiopeia vorstellen", frage Agnes. "Ja gerne", sagte ich und folgte ihrem ausgestreckten Arm Richtung nördliche Himmelshemisphäre. "Sie sieht aus wie ein W.", sagte die Sternenkundige. Tatsächlich: ein "W", allerdings eines, das nicht mit beiden Füssen auf dem Boden steht, sondern einen Handstand macht, und zwar auf einem Arm, was sonst nur nordkoreanische Zirkusartisten können.

Von der Cassiopeia ging es nun weiter zu Orion - mit Schwert, dann zum Schwan, mit seinen Flügelchen und dem kleinen Kopf - da muss einer erst mal drauf kommen, dachte ich. Auch der Grosse Wagen war da, wie immer, dessen Deichsel mir schon als Kind überdimensioniert vorgekommen ist.

Es war nun 20 Uhr geworden und wir vereinbarten, beim Wachwechsel wieder in die Sterne zu gucken. Agnes ging schlafen und ich spintisierte weiter am Thema Sterne. Es gibt ja sonst nichts zu tun auf der Wache, wenn alles gut läuft. Mir kam in den Sinn, ob es wohl mal ein Sternbilder-App fürs iPhone geben würde, mit GPS und Himmelskoordinaten Ich dachte dann, dass eher nein; denn rund um die Sternbilder gibt es keine Moden, keine Aktualität, die Sternbilder entziehen sich dem irdischem Wandel trotz ihrer allnächtlichen Präsenz. Kein König und kein Diktator in Piong Yang hat es je gewagt, in seinem Herrschaftsbereich das Umtaufen der Sternbilder zu verlangen. Und deshalb ist aus dem Orion mit seinem Schwert nie "Unser lieber Führer" geworden. Auch gibt es keinen "Rolex-Stern" und keinen "Fedex-Planeten". Branding, Sponsoring, das alles passt nicht an den Nachthimmel, einer der letzten nicht-kommerzialisieren Räume.

Um Mitternacht kam Agnes wieder aus der Koje ins Cockpit für ihre Wache, doch das neuerliche Sternengucken fiel aus, weil inzwischen der Grosse Regisseur einen weissen Zirrenvorhang vor seine Sternbilder gezogen hatte.

Als ich um 3 Uhr für meine zweite Wache aufwachte, spürte ich an der Bewegung des Bootes, dass wir noch immer guten Wind hatten. Ich kriegte einen Tee und Agnes legte sich wieder schlafen. Um 6 Uhr, am Ende meiner neuen Wache, machte ich einen Logbuch-Eintrag und sah, dass es noch 81 Meilen wären bis zum Ziel in Porto Santo.

Montag, 18. Oktober 2010

Unterwegs

Der Blogist meldet sich zurück, tanned and rested. Wir sind ca 180 Meilen nordöstlich von Madeira, haben guten Wind und wollen nur eines wissen: Kommt die Sauce Madère wirklich aus Madeira - und wird sie dort auch montiert - so wie der VW in Wolfsburg? Oder ist alles ein grosses Missverständnis à la Toast Hawaii? Werde mich sofort nach Ankunft als Leser-Reporter verkleiden und der Sache mit Handy-Kamera auf den Grund gehen. Bis bald also. Ah ja noch was: Das ist Bloggen via Satellitentelefon - mit 4800 Baud.