Sonntag, 17. März 2013

Der letzte Marathon


Ich komme langsam in ein Alter, wo ich Sachen „das letzte Mal“ mache. Und so bin ich diesen Sonntag den (wahrscheinlich) letzten Marathon gelaufen. Der Trainingsplan war aus einer gewissen Verlegenheit entstanden: Was macht man jeden Vormittag an einem Ort wie Lagos, an der Algarve, wenn man nicht arbeitet und in Gottesnamen nicht dauernd am Boot herumbasteln kann. Lesen? Der Morgen ist  für mich keine Lesezeit, ausser im Zug oder im Flugzeug. Posten? Soviel gibt’s auch nicht jeden Tag einzukaufen. Bleibt das Internet – oder eben sportliche Ertüchtigung.

Weil das Winterwetter in Lagos für ein Jogging-Training geradezu ideal ist (kühl, aber nicht zu kalt für die Muskeln und Sehnen), wurde der Plan geboren, nach Washington (einmal) und Zürich (zweimal) ein viertes Mal die Strecke über gut 42 Kilometer zu laufen. Ich legte mir eine Trainingsstrecke zurecht, buchte den Marathon von Barcelona plus Flüge für 25 Euro und trainierte zuletzt knapp 80 km pro Woche, insgesamt etwa 1500 km seit letzten September. Die Trainings fanden jeden zweiten Tag statt, an den freien Tagen ging ich ins Fitness zwecks Rückenstärkung und zum Schwimmen als Dessert.

Und gestern also war nun der grosse Tag: Bei trübem, d.h,. idealem Wetter und ca 12 Grad machte ich mich kurz nach halb acht Uhr in Barcelona von unserem Hotel auf zum Startplatz. Da ich aus Aufregung viel zu früh dran war, hatte ich Zeit, die übrigen Freizeitsportler zu betrachten. Es ist unglaublich, wieviel unterschiedliche Stilformen sich für diese ziemlich uniforme Sportart herausgebildet haben: Gross in  Mode sind Kompressionssocken, die Oberprofis haben sich zusätzlich eine Art Kompressionsärmel übergezogen. Dann gibt es erstaunlicherweise Leute, die in zwei verschiedenen Schuhen, also kein einheitliches Paar, antreten. Weiter waren jede Menge verschiedenartiger Shorts zu betrachten, einzelne Frauen trugen hübsche Jogging-Röckchen. Weiter wird mittels Leibgurt jede Menge von Powernahrung mitgeführt. Ein Franzose hatte „Coup de Fouet“ bei sich, ein treffender Produktname, finde ich; ich hatte 2 Isostar Gel (Peach) im Hosensack meiner Hugo-Durchschnittsshorts.

Und dann ging’s los. Eine wundervolle Strecke, ein echter City-Marathon. Besonders stolz bin ich, am Stadion des FC Barcelona entlang gelaufen zu sein, während ich die architektonischen Werke von Gaudi nicht verstehe, höflich gesagt. Ich finde sie nämlich scheusslich und ich bleibe bei dieser Meinung, obschon ich weiss, dass Leute extra wegen dem Gaudi nach Barcelona pilgern.

Der Parcours ging lange Alleen rauf und auf der Gegengeraden wieder runter. Das Publikum war hinreissend und feuerte uns hintere Chargen an, als ob wir reelle Chancen auf einen vorderen Platz hätten.
Hatten wir nicht, wie ich natürlich zum voraus wusste. Meine grosse Krise kam überraschenderweise bereits bei Kilometer 17, wo ich mich im Training jeweils noch total frisch gefühlt hatte. Ich war so miserabel dran, dass ich bereits nach Taxiständen Ausschau hielt; sicherheitshalber hatte ich eine 20-Euro-Note bei mir.

Das Isostar Gel wirkte dann jedoch Wunder, weil – so vermute ich – in dieses designte Food Glückshormone hineinmontiert werden, welche selbst in der ärgsten Krise für gute Stimmung sorgen, ähnlich wie die Fernsehunterhaltung in Ländern wie Portugal und Spanien angesichts der Krise, die die Menschen mit brutaler Härte trifft.

Aber item: Ich wurde immer langsamer und bei Kilometer 30 war klar, dass wir über eine Zeit auf der falschen Seite von 5 Stunden reden würden. Ich plagte mich über den Rest der Strecke mittels der Taktik des compartmentalizing. Das heisst: Man sagt sich nicht dauernd: „Jesses, noch 12, 10, 8 usw Kilometer“  Sondern man hangelt sich von Kilometer zu Kilometer und freut sich über den 25er,der die Mitte zum 30iger beinhaltet, dann den 26igsten, um schliesslich den 27igsten echt zu feiern, weil danach bereits der zweitletzte der 20er kommt usw usf.

Hat alles nichts genützt:  Als ich später im Hotel mit sauren Muskeln in den Beinen, aber einer Dose Bier in der Hand auf der Webseite meine Zeit nachschaute, war sie noch um 4 Minuten schlechter als die selbstgemessene: 5:19 Uhr. Grottenschlecht.  1:06 h  mehr als mein bester Marathon vor knapp 20 Jahren und mehr als eine halbe Stunde schlechter als die beiden Zürcher Ergebnisse.

Aber so ist es halt: ich werde älter und vielleicht ist es angesichts der gelaufenen Zeit nicht schlecht, wenn ich sage: Das war mein letzter Marathon.