Mittwoch, 15. Juni 2011

Gebell und rote Bohnen

Gestern nahmen Luke und ich das Ruder auseinander und ich montierte neue Leitungen an den Hydraulikzylinder, an welchen ich dann einen Kübel Wasser hängte, um das System zu testen, bevor das Ruder wieder mühsam montiert würde. Leider waren nun nicht mehr die Leitungen undicht, der ursprüngliche Grund der Reparatur, sondern der Zylinder selbst sonderte ein hellgelbes Wasser ab. Und so stand ich am Mittag überraschend vor der Frage: Wo repariert im südlichen Maryland jemand meinen französischen Hydraulikzylinder?

Luke wusste dazu folgendes: Ich müsse auf der Route 235 ein paar Meilen fahren, bis ich zu einem gelben Briefkasten käme. Der Name des Hydraulik-Shops selbst sei ihm leider entfallen. Doch was er wisse, sei noch dies: Wenn ich rechter Hand die Sandgates Road sähe, sei ich bereits zu weit gefahren. Gesagt getan. Und prompt kam ich nach gut 11 Meilen an der Sandgates Road vorbei, drehte folgerichtig um und nahm einen zweiten Anlauf. Da war er ja, der gelbe Briefkasten, den ich bei der ersten Durchfahrt übersehen hatte. Ich bremste scharf ab, bog von der Route 235 auf einen Dreckweg ab und sah von weitem eine Art offene Blechscheune. Links davon war ein Hundezwinger, in welchem ein deutscher Schäfer wie irre bellte und sich dabei um die eigene Achse drehte. Ich stieg aus und nahm an, dass dieses rechtsdrehende Biest wohl nichts Gutes im Sinn hatte. Ich war deshalb froh, dass ein Zaun mich von dem Hund trennte.
Nun trat ich in einen kleinen Werkstattladen rechts vom offenen Scheunentor ein und gleich kam ein Mann aus einer Art Hinterzimmer: Graues Haar, stahlblauer Pullover, ein rosige, ungesunde Gesichtshaut, glasige Augen.
"No way“ sprach er mit einer Grabesstimme, als ich ihm meinen Hydraulikzylinder präsentierte. Ob er wisse, wer das Ding flicken könne, frage ich. „No idea“, tönte es erneut im tiefstem Bass, wie er hier gerne für suggestive Radiowerbung („You have to get it!“) verwendet wird. Jetzt sagte ich beinahe flehend: „You know, it’s metric, it’s french” Doch das Rosagesicht drehte sich bereits ab, wünschte mir dann aber, wieder halb zu mir gewendet, doch noch ein tiefstimmiges “Good luck”.

Als ich aus dem Laden trat, rannte der Schäfer bellend entlang dem Zaun. Offenbar versprach er sich davon mehr Abschreckung als mit dem irren Drehen von vorhin. Ich sagte zu ihm : „Alles Gueti, gäll !“, die schweizerdeutsche Variante von Good luck, und stieg ins Auto ein.

Zurück beim Boot schaute ich im Internet nach und fand „Southern Maryland Hydraulics“ und den viel versprechenden Hinweis „metric fittings“. Ein Anruf - in Amerika muss man immer zuerst anrufen, bevor man irgendwo hin fährt - tönte gut. Und so fuhr ich wieder am gelben Briefkasten vorbei auf der 235, aber diesmal viel weiter, bis nach Waldorf nämlich, ca. eine Stunde Fahrt, bog dann links ab von der 235, Richtung Irongate Drive 18, wo der Chef von "Southern Maryland Hydraulics", ein hagerer Kerl im Pensionsalter, an einem Tisch hinter einem Kundenschalter sass und gerade rote Bohnen aus einem weissen Plastikteller löffelte. Daneben hatte er eine Büchse Cola Light.
Auf die Frage, ob er meinen Hydraulikzylinder flicken könne, sagte er: „Sure.“ Und seine Sekretärin, die seine Tochter hätte sein können (und es wohl auch war), brachte gleich ein Namensschild an und legte das Teil auf ein Gestell. Auch meine zweite Frage, wann ich es wieder abholen könne, beantwortete der Mann in einem einzigen Wort: „Tomorrow.“ „Ok“, sagte ich, „dann rufe ich Sie morgen an.“ „No, we call you“, sagte er nun in einem ersten vollständigen Satz. Und beim Wort „call“ öffnete er den Mund ungewöhnlich weit, so dass ich darin die roten Bohnen erblickte, die er gerade hinein geschoben, aber noch nicht gekaut hatte. Mir schoss die Frage durch den Kopf, ob diese Bohnen sein Mittag- oder eher sein Abendessen seien, denn es war mittlerweile 16 Uhr geworden.

„Oh, sure“, antwortete ich, und vielen Dank und „Good bye“. Und natürlich „Have a great evening". Dann stieg ich ins Auto und fuhr zurück. Auf der Heimweg dachte ich, dass dies trotz allem ein interessanter Bootsarbeitstag gewesen sei.

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