Donnerstag, 23. Dezember 2010

Auf Wiedersehen bei "Pay rates of the Carribean" Ende Januar 2011

Der Blogger sitzt im Cruising Club am Strand und guckt Monsterwellen zu, die das Herz der SurferInnen höher schlagen lassen und allen, die im Dinghy von ihrem Mutterschiff aus an Land gehen müssen, den blanken Schrecken einjagen. Wir haben es geschafft. Die Laptops waren wasserdicht verpackt in einer speziellen Gummitasche, ein Billig-Angebot von Aldi Schweiz letztes Jahr.
Inzwischen hat die Personalabteilung von Miranda die Ueberzeitguthaben ausgerechnet und der Blogger hat einen zweiten Schrecken eingejagt bekommen: Es haben sich soviele Kompensations- Frei- und Ferientage zusammen geläppert wegen der Nachtwachen und der Sonntagsarbeit unterwegs über den Atlantik, dass nun Zwangferien angesagt sind. Wir melden uns wieder Ende Januar 2011 - dann mit einer neuen Staffel unter dem Titel "Pay rates of the Carribean". In der Zwischenzeit gibt es jede Menge Encore-Präsentationen. Klickt auf irgend einen Monat im 2010, und erlebt noch einmal, was wir erlebt haben.

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Barbados - Wassertemperatur 29.8 Grad

Nach 21 Tagen auf See und 1987 Meilen sind wir auf Barbados angekommen: Unsere Miranda II liegt in der Carlisle Bay, das Wasser ist 29.8 Grad warm. Und in der Strandbar sagt uns ein Heineken-Kühlschrank, dass es in seinem Innern minus 22 Grad kalt ist. Perfekte Verhältnisse, würde ich meinen, um ein buntes Weihnachtsfest zu feiern.

Wir sind etwas erschöpft und werden uns nun ein paar Tage lang erholen. Nach Weihnachten geht es dann aber los mit den Reparaturen. Wir haben Probleme mit der Batterieladung, weiter spielt der Generator den faulen Hund und liefert nur noch 0.2 amp. Dann haben wir neue Probleme mit dem hydraulisch verstellbaren Ruder: Es lässt sich nur noch nach unten festellen, aber nicht mehr hydraulich hochziehen. Für eine Reparatur müssten wir das Boot auswassern. Mal sehen.

Samstag, 18. Dezember 2010

Passatwolken bringen Regen und Segen

Die Passatwölkchen können auch anders. Sie tun sich nämlich seit ein paar Tagen gegen Abend zusammen, um uns dann als dunkle Wolken von hinten zu überholen und dabei einen warmen Regen abzulassen. Das Süsswasser rinnt dann am Segel hernter und wir könnten es sammeln, wenn wir knapp wären.

Dass schlechtes Wetter von Osten kommt, ist für uns gewöhnungsbedürftig. Dank diesem Schub mit jeweils stark zunehmenden Winden machen wir Meilen wie noch nie. Wir knacken heute Vormittag die 300er Limite. Auch die Menukarte lässt sehen. Wir haben einen Mahimai gefangen und die Filets gleich in Zitronensaft und und etwas Olivenoel eingelegt. Nach einer Stunde waren die kleienn Stücke mariniert und die Skipperin hat ein geheimes Lager freigegeben, wo Weisswein lagerten. Der perfekte Apéro.

Freitag, 17. Dezember 2010

Bonus-Meilen

Das Meer hat sein Meilenprogramm für Vielsegler verbessert. Im Moment bekommen wir für vier gesegelte Meilen eine Bonus-Meile dazu. Anders gesagt: Die Strömung schenikt uns pro Tag gut 20 Meilen, und wir kommen pro Tag vier Stunden schneller zum Ziel als ohne die Bonusmeilen.

Ihr seht, liebe Leserin, lieber Leser: Wir können es kaum mehr erwarten, bis wir ankommen in Barbados. Wir "plangen" auf die Ankunft, wie man auf Schweizerdeutsch sagt, ein Gefühl, das ich als Kind kannte vor Weihnachten. "Er mag fascht nüme plange", sagte dann meine Mutter. Der Begriff beinhaltet viel mehr als das hochdeutsche "Er kann es fast nicht mehr erwarten" Im "plangen" steckt das Gefühl, dass die Zeit unerbittlich langsam fliesst, ohne jede Spur einer kürzer werdenden Dauer. So ist das bei uns. Doch wir kommen gut voran und knacken jetzt dann die 400-to-go-Meilen-Grenze - dank Bonus-Meilen schneller als erwartet.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Sehr geehrter Herr Foerthmann

haben Sie vielen Dank für Ihre guten Ratschläge in den letzten zwei Tagen. Dass der Hersteller von sich selbst sagt, er sei immer nur ein Klick weit weg, ist schon eine ungewöhnlich hevorragende After-sales-Betreuung. Der Chef von Windpilot ist - verzeihen Sie das missratene Sprachbild - ein leuchtender Stern am dunklen Firmament nicht gehaltener Garantieversprechen.

Wir haben inzwischen das Paddel senkrecht gestellt, was die Steuersignale verbessert hat. Für die Rutschkupplung am Radadapter haben wir einen Murks gemacht. Wir nehmen ganz einfach eine Schraubzwinge, wo die Flügelmütter (oder sind es -muttern?) nicht richtig zupacken wollen. Und siehe da: es geht. Aber das Foto von dieser Gewaltanwendung wollen Sie dann sicher nicht in den Prospekt aufnehmen.

Punkto Steuergenauigkeit reiht sich unsere Ovni nun also wieder in jene 200 Schwesterschiffe ein, die ebenfalls mit Ihrem Windpilot unterwegs sind und auf die Sie gut und gerne stolz sein können.

Ich hoffe, dass ich Sie einen Mausklick weit weg nicht mehr erreichen muss vor unserer Ankunft in Barbados und wünsche Ihnen deshalb schon jetzt schöne Festtage und ein erfolgreiches Neues Jahr.

Mit herzlichem Gruss
Thomas Rüst
SY Miranda II
13-03 Nord und 48-40 West.

Montag, 13. Dezember 2010

der Lohn fürs Handsteuern

Das kleine Tief ist über uns hinweggezogen, die Wellen sind zurückgegangen und nun zeigt sich, dass ein Radadapter der Windsteuerung das Problem sein könnte. Die Kupplung dort, eingerichtet für die extremen Wellen der letzten Nacht, rutscht nun auch bei normalen Verhältnissen. Der Erfinder unseres Windpilots, Peter Foerthmann, den wir kontaktierten, hat in no time zurück geschrieben und erste Ratschläge gegeben. Nun wollen wir weiter sehen.
Zu dritt steuern wir weiterhin im Rhythmus zwei Stunden auf der Brücke, vier Stunden Pause. Das ist einigermassen erträglich. Nur zu zweit wäre es pickelhart. Der Lohn der Plackerei: Das beste Etmal so far: 133 Seemeilen in 24 Stunden näher am Ziel.

Sonntag, 12. Dezember 2010

999 miles to go

Während ich dies schreibe, ist die Party noch im Gange. Um 13.14 Uhr Bordzeit (16:14 Uhr MEZ) haben wir den tausender Meilenstein geknackt. Erstmals zeigt das GPS eine dreistellige Zahl bis zum Ziel an: 999 Meilen sind es noch. Der Champagner fliesst in Strömen, mindestens verglichen zum Champagner, der in den vergangenen zwei Wochen floss (Null).


Die Crew im Moment nur halb-happy: Wir haben seit drei Tagen mit Wellen zu kämpfen, die unserer Windsteuerung und somit auch uns zu schaffen machen. Meist müssen wir von Hand steuern oder mindestens dem Zephir helfen, wenn Wellen unter uns durchtosen. Auch sind wir zu weit südlich geraten, haben nun eine Halse gemacht und segeln vom 11. BReitengrad wieder Richtung 13. Breitengrad.

Freitag, 10. Dezember 2010

Der Mond auf Facebook

Wäre der Mond auf Facebook, wir hätten ihn vermisst wie jene friends, die täglich Einträge machen und dann kommt plötzlich für Tage nichts mehr. Genau so war es mit dem Mond: einfach nichts mehr zu lesen von ihm. Jetzt gestern hat er sich gemeldet mit einem Eintrag: "Hallo, guckt mich an hoch am Himmel, bin zu einem Viertel zunehmend." Das hat jenste "like" gegeben und von mir den Kommentar: "Wir haben Dich echt vermisst; so dunkel können nur Nächte sein, wenn Du nicht am Himmel bist."

Noch von einem andern imaginären Facebook-Friend gibt s zu berichten, von Zephir. Unsere Windsteuerung brilliert mit dem Eintrag: "Wann sind wir endlich da? Dieses Steuern ist mir zu blöd." Und ganz so benimmt er sich: Jede Welle ist ihm zuviel, jeder Windstoss für ihn eine Zumutung. Wir haben heute Vormittag alle möglichen Segelstellungen ausprobiert und sind nun beim Schmetterling (beide Segel ausgeklappt) gelandet, das Grosssegel im 4. Reff, nur so geht's, 3. Reff war nicht genug Druck-Verminderung. "Thank God it's Friday" schreibt Zephir nun auf Facebook, hat auch jenste "like" gegeben und von uns den Kommentar: Wart erst bis Sonntag!"

Am Sonntag nämlich gibt's gleich mehrere Feten: Erst feiern wir Kartenwende. Wir drehen die Atlantikkarte auf die andere Hälfte und sehen dann nicht mehr, woher wir kommen (Kapverden), sondern wohin wir segeln, nach Barbados. Wir haben also das Ziel vor Augen. Gleich danach feiern wir 999 MILES TO GO, traditionell mit Champagner und erstmals gibt's dazu eine Paté aus dem Périgord, die Danielle uns mitgegeben hat. Praktisch zeitgleich steigt die dritte Party: Der 993er Meilenstein fällt, wir haben die Hälfte hinter bzw. genau die zweite Hälfte der Seereise vor uns.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Ein gerissenes Steuerkabel

In den Top Ten der fatalen Ereignisse ist die Gasexplosion wahrscheinlich die Nummer 1, knapp gefolgt vom Mastbruch und dem Leck. Der Bruch des Steuerkabels folgt weiter hinten, aber sicher noch in den ersten zehn. Ein solcher Kabelbruch ist uns passiert: Um 9 Uhr gab es einen Knall und ich spürte, dass das Rudel nicht mehr griff, bzw. das Steuerrad leer drehte. Jean-Pierre trimmte sofort die Segel, damit das Boot sich mit der Genua behelfsmässig selbst steuern würde. Ich legte den Stopfen für die Notpinne frei und installierte sie. Ebenso eine Verlängerung, welche wir machen lassen hatten, nachdem wir schon einmal einen Kabelbruch hatten. Damals, vor 5 Jahren, zeigte, sich, dass die Notpinne zu schwergängig war bei etwas Seegang.

In der Folge nun steuerte Jean-Pierre das Boot mittels Notpinne und ein paar erfindungsreich gelegter Leinen, die die Handarbeit leichter machten. Ich demontierte den Kompass und den Tisch, dann das Piedestal, entfernte Bodenbretter und eine Aluplatte, um an den Ruderquadranten zu kommen. Dann legte ich Behelfsleinen durch die Steuersäule und zog mit ihnen das neue Ersatzkabel gekreuzt durch das Piedestal, ein solches Ersatzkabel hatten wir immer an Bord für genau diesen Fall.

Das tönt nach Easy-Reparatur, hat aber sechs Stunden in Anspruch genommen. Agnes war die zuverlässige Operationsschwester, die immer die genau richtigen Werkzeuge und die Tupfer (für das Gesicht des Chirurgen) bereit hielt. Weil wir ziemlich Wellen hatten, war die Arbeit sehr mühsam und um 16 Uhr, als das neue Kabel zu bester Zufriedenheit steuerte, war ich total erschöpft. Ich wusch die schwarzen Hände mit WD-40; beim Apero dann stiessen nicht wie sonst immer auf die „Frauen und die Pferde" an, sondern sagten zueinander kleinlaut: „A la prochaine merde."

Fazit: Schuld an der Misere ist natürlich der Skipper, der den vorbeugenden Unterhalt vernachlässigt und aus dem ersten Ereignis vor fünf Jahren offensichtlich nichts gelernt hatte. hatte. Das Kabel hatte 7500 Seemeilen in den Sehnen, nach 5000 hätten wir es in einem ruhigen Hafen auswechseln sollen. Die Lehren daraus für alle SkipperInnen, die Radsteuerung haben wäre i nFrageform die folgenden: Wieviel Meilen hat Euer Steuerkabel hinter bzw. noch vor sich? Habt Ihr ein Ersatzkabel an Bord? Wenn ja, wisst Ihr wie installieren (die meisten Kabel gehen übers Kreuz, sonst ist es, wie wenn man beim Auto für eine Rechtskurve nach links drehen müsste)?
Letzte Frage noch: Was passiert auf der „Miranda II", wenn auf unseren letzten 1400 Meilen auch das neue Kabel reisst? Antwort: Für diesen Fall der Fälle haben wir ein altes Kabel mit geflickter Kette an Bord – und dann also wieder sechs Stunden Maloche vor uns

Dienstag, 7. Dezember 2010

Information der Züri-Linie

Die Leitstelle der VBZ beschäftigt sich nicht nur mit Streckenblockierungen und Fremdkollisionen. Sie überwacht auch unsere Batteriewerte, die leider - was den Spottracker anbelangt - schlecht sind, sodass wir die Frequenzen einschränken müssen.

Nun hat sich die Leitstelle heute Vormittag aber total quergstellt und sich geweigert, den Tram- und Buspassagieren die entsprechende Information über die Spottrackerblokierung durch Fremdbatterien zu melden. Wir sind deshalb gezwungen, unseren Blog für eine solche Meldung zu missbrauchen. Hier ist sie: "Information der Züri-Linie. Batterieprobleme im Bereich Spot Tracker von Miranda II. Wegen zu schwacher Batterien wird die Frequenz der Spotmeldungen in den kommenden Tagen vermindert sowie nachts und ausserhalb der Stosszeiten ganz eingestellt. Wir bitten um Verständnis. (Kkkkriiiiickkk)" Zur Ergänzung noch: Der Spottracker arbeitet nur ausdauernd mit Lithium-Batterien. Alkline-Batterien säuft er in 24 Stunden leer, was selbst unsere bedeutenden Vorräte an AA-Batterien auf eine harte Probe stellt. Im Gegensatz zur VBZ bitten wir nun aber nicht um Ihr Verständnis, sondern fordern Sie auf, Ihrem Unmut freien Lauf lassen. Danke.

Hier noch die Adresse des Spot-Trackers: http://bit.ly/b5feTY.

Montag, 6. Dezember 2010

Im Passatwind

Seit zwei Tagen sehen wir am Himmel lauter Schönwetterwölkchen, ein äusseres Zeichen, dass wir den Passatwind erreicht haben. Dieser stösst uns nun unter Spinnaker auf direkter Route nach Barbados. Gestern noch sahen wir das nördliche Ende des Passatgürtels, wo die Wölkchen aufhörten. Heute sind wir gut 100 Meilen südlich vom oberen Rand des Gütels, fast soviel, wie Jimmy Cornell empfiehlt, der das ultimative Buch für Atlantiküberquerungen "The Atlantic Crossing Guide" geschrieben hat.

Die Wolken haben nicht immer die gleiche Grösse, manchmal sind sie putzig klein, dann tun sie sich zu dunkelgrauen Gebilden zusammen, dann wieder klafft ein riesiges Wolkenloch über uns. Nachts sind sie nur insofern sichtbar, als sie den Sternenhimmel verhüllen. Wir sind seit Tagen ohne Mond, und entsprechend dunkel ist es während den Wachen.

Dank dem ziemlich beständigen Passatwind kommen wir gut vorwärts und haben das erste Mal wieder über 100 Meilen gemacht in 24 Stunden. Der Meilenzähler zählt von 1987 (Start auf Kapverden) zurück; heute sind wir sozusagen im 17. Jahrhundert, nämlich bei 1628. Am Anfang wusste ich zu den meisten Zahlen noch geschichtsträchtige oder auch nur private Ereignisse – 1986 Perestrojka, 1894 das Geburtsjahr meines Grossvaters, dann die Französische Revolution. Doch je näher wir nun dem Mittelalter kommen, desto weniger Wissen habe ich in petto. Der Geschichtslehrer damals hat uns als Persönlichkeit in seinen Bann gezogen und deshalb verehren wir ihn noch heute. Jahreszahlen und Buchwissen hingegen sind total verloren gegangen.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Meine Erfahrungen mit dem Sextant

Vor ein paar Jahren hatte mir Agnes einen Sextanten geschenkt, einen der besten, die es gibt, einen Freiberger Sextanten nämlich aus deutscher Wertarbeit. Der Sextant ist ein optisches Gerät, mit dem Seefahrer während Jahrhunderten den Winkel zwischen der Sonne und dem Horizont gemessen haben. Zusammen mit der genauen, einer Chronometer-Zeit und ein paar Tabellen ist es mit dem gemessenen Winkel sodann möglich, die genaue Schiffsposition zu ermitteln. Der Sextant ist bzw. war so wichtig, dass Kapitäne und die Führer von Piratenschiffen gleichermassen den Verlust ihres Augenlichts in Kaufe nahmen, wenn sie für die wichtige Positionsbestimmung die Sonne in ihrem Winkelmessgerät suchten. Das hatte sogar Konsequenzen für den Kunstbetrieb: die Seefahrer sind auf den Bildern alter Maler meistens mit einer schwarzen Augenklappe über einem erblindeten Auge zu sehen.

Diese Vorrede ist deshalb so lang geworden, weil es mir ausserordentlich peinlich ist, über meine eigenen Versuche mit dem Sextanten zu berichten: Ich begann erst einmal zu Hause zu üben. Da Zürich weit weg vom Meer liegt, musste ich einen künstlichen Horizont zu Hilfe nehmen. Der Verlust des Auges war hingegen nicht mehr zu fürchten, da bei modernen Sextanten längst sog. Schattengläser vor die Spiegel angebracht sind. Man sieht dann beim Gucken durch das kleine Fernrohr die Sonne als helle Scheibe, als wäre sie hinter einer dünnen Wolkendecke.

Meine Messergebnisse waren durchs Band und trotz x-Wiederholungen verheerend, auch neue Versuche an Meeresküsten und bei Bootsfahrten in der Bretagne führten zu keinen ermutigenden Ergebnissen. In Zürich lag meine Position statt in der Stadt jeweils irgendwo im Luzernischen oder sogar bei Stuttgart – in der Bretagne waren die Differenzen ähnlich krass. Ich kaufte dann einen kleinen Rechner (Celesticomp), da ich mich immer wieder bei banalen Rechenfehlern ertappt hatte. Und liess einmal sogar den Sextanten von einem Spezialisten überprüfen, der das kostbare Gerät abholte und einen Tag später wieder an meiner Haustür ablieferte. Alles nützte nichts. Das ärgste war, dass offenbar nur ich das Problem hatte, wie ich erfuhr, wenn ich erfahrene Sextantisten ins Vertrauen zog.

Die neue Seereise jetzt Richtung Barbados sollte die letzte Gelegenheit sein, die peinliche und unglaubliche Sache in Ordnung zu bringen. Gestern fasste ich zum erstenmal Mut und las nochmals die Bedienungsanleitung des Rechners durch. Ich entdeckte dort zu meiner Überraschung eine Passage, die ich bisher nicht richtig wahrgenommen hatte: In einem Absatz der Anleitung stand, man müsse zwischen zwei Messungen genügend Zeit verstreichen lassen, damit die unterschiedlichen Linien mindestens einen Winkel von 30 Grad ausmachten. Sonst sei die Ungenauigkeit so gross, also ob man mit einem stumpfen Bleistift zwei weite Winkel ziehen würde, deren Striche sich dann total unscharf überschneiden.

Ich liess also zwischen der ersten und der zweiten Messserie vier Stunden verstreichen, gab dann die Daten in den Celesticomp ein, dessen Software noch altmodisch eingebrannt ist in sogenannte Eproms. Und siehe da: Ich erhielt eine Position von 14 Grad und 24 Minuten Nord und 29 Grad 10 Minuten West. Das war genau 20 Meilen von der GPS-Position entfernt. Grosser, nicht endenwollender Applaus der Crew, welche zur Belohnung ein Mittagsbier spendierte.

In Kapitänskreisen sind natürlich 20 Meilen ein lediglich passables Resultat, gewiegte Seefahrer schiessen die Sonne auf 5 Meilen genau auch bei Seegang. Für mich aber sind die 20 Meilen eine unendliche Erleichterung und eine grosse Ermunterung, an mir zu arbeiten, wie man in einer Psychotherapie sagen würde. Höhepunkt wäre, dereinst einmal ganz auf den Rechner verzichten zu können und allein mit den Tabellen und mit Kopfrechnen vorzugehen. Allerdings müsste ich dann noch lernen, beim Addieren und Subtrahieren (behalte 1 und dergleichen) keine Fehler mehr zu machen. Soweit meine Erlebnisse mit dem Sextanten und damit herzliche Grüsse aus den selbstgemessenen N14-20 und W029-10.

Freitag, 3. Dezember 2010

Advent, Advent...

Um bei 30 Grad im Schatten doch noch zu ein bisschen weihnachtlichen Gefühlen zu kommen, haben wir heute beim Niedergang einen Adventskalender aufgehängt. Wer immer vom Innern des Boots hinaufsteigt ins Cockpit oder herunter kommt, kann an der Zahl der geöffneten Türchen erkennen, wie lange es noch dauert bis zum Fest.

Der Kalender zeigt allerdings eine für mich total merkwürdige und ungewöhnliche Szene. Im Zentrum des Bildes steht ein Postamt, das sich nicht in einem Gebäude befindet, sondern das als Marktbude mitten auf der Strasse in einem Stadtquartier mit älteren Wohnbauten aufgestellt wurde. Es ist Nacht, die Zimmer aller Wohnungen sind hell erleuchtet. Vor dem Postamt haben sich Kinder versammelt, die bei Engelsbeamtinnen Briefe aufgeben. Die Post wird dann an Himmelsboten, ebenfalls Engel, weiter geleitet, welche vom schneebedeckten Dach der Marktbude aus starten. Sie haben alle schwere schwarze Mappen bei sich, gewinnen aber trotz der Last bei ihrem Flug über die Dächer rasch an Höhe.

Die ganze Szenerie mit diesem nächtlichen Budenpostamt hat etwas leicht Unheimliches. Und ich wusste lange nicht warum. Plötzlich merke ich, was mich innerlich irritiert: Es sind keine Erwachsenen zu sehen in dieser Kinderstadt und man ahnt oder fürchtet, dass sie sich wohl alle in den Wohnungen aufhalten (aufhalten müssen?), in all den Zimmern, für deren helle Beleuchtung es ein Obligatorium zu geben scheint.

Vielleicht hat der Kalender aber auch überhaupt nichts Unheimliches, wenn er nur nicht bei 30 Grad im Schatten betrachtet würde, sondern in einer ganz normalen winterlichen Atmosphäre zu Hause in der vorweihnachtlichen Schweiz in einem gut geheizten und ebenfalls gut ausgeleuchteten Wohnzimmer. Denn unser Problem ist: Wir leben hier auf dem Atlantik ohne alle üblichen gesellschaftlichen Adventsattribute: wir sehen keine TV-Spots, die mit weihnachtlicher Musik untermalt sind; wir gehen nicht an festlichen Auslagen vorbei in der Stadt mit ihrer Lucy; wir haben keine eigenen Geschenkpläne und müssen auch nicht ans Weihnachtsessen des Arbeitgebers.. Es ist einfach unmöglich, hier auf dem 15. Breitengrad irgend etwas Weihnachtliches zu spüren.

Das gleiche gilt für den Winter: Herzlichen Dank allen, die uns Mails geschickt haben mit Nachrichten über Schneeverwehungen, über umgekippte Autos, die Bise und Minustemperaturen. Aber bei aller Empathie will sich einfach kein Mitgefühl einstellen, weil der Winter für uns so schwer vorstellbar ist wie für alle von uns, wenn wir im Juli in der Schweiz im Schwimmbad sind. Sommer und Winter – das kann man nicht nachfühlen, nur selbst erleben. Aber einen Adventskalender zu haben bei 30 Grad ist trotzdem eine schöne Sache.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Das Lotto-System von Diviano

Diviano hält mir am Eingang zur Marina ein Blatt Papier unter die Nase mit quadratischen Feldern, auf denen Mädchennamen enthalten sind. Er erklärt mir, es handle sich um eine Lotterie und ich könne 60 Escudos auf einen Namen setzen, indem ich meinen Namen in eines der Felder schreibe. Gesagt getan.

Den Namen des gewinnenden Feldes, so erklärt der Lotteriebetreiber weiter, werde er dann aufrubbeln, eigentlich aufschneiden, denn der Gewinnername versteckt sich unter einem kleines Stück Stoff, das auf das Blatt Papier aufgenäht ist. Und wann findet die Ziehung statt? Antwort: Wenn alle Felder voll sind.

Dieser Hinweis zeigt einmal mehr, dass Lotterieteilnehmer Mitglied einer Solidargemeinschaft sind. Das gilt genau so für das Schweizer Zahlenlotto wie für die kleine Schicksalsgemeinschaft, die bei Diviano auf Namen setzt und der ich nun angehöre. Mir gefällt das System, mal abgesehen von der unabsehbaren Frist bis zur Ziehung. Es liesse sich auch im Internet anwenden mit SMS etc.

Diviano sagt, wahrscheinlich werde am kommenden Tag der Gewinner ermittelt, der übrigens eine Flasche Rum bekommen soll. Später sagt mir mein lokaler Guide, dass Diviano auch Kleinkredite an Kollegen vermittle; er gelte als Kredithai, weil er Schulden unnachsichtig zurückfordere. Das ist bei den Banken nicht anders, denke ich. Und so wäre Diviano, hätte er andere Lebenschancen, wohl Investmentbanker geworden und ich hätte ihm ein strukturiertes Produkt abgekauft.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Ein Zwischenstopp auf den Kapverden

Für alle Fälle hatten wir eine gute Seekarte an Bord und genaue Beschreibungen über die Ansteuerung des Hafens von Mindelo auf Sao Vincente, einer kleinen Insel der Gruppe der Kapverden. Sonst aber wussten wir nichts von den Kapwerden. Wir hatten ja nicht geplant, dort einen Zwischenstopp zu machen und uns ergo auf das Land auch nicht vorbereitet.

Was will man eigentlich als erstes wissen, wenn man umständehalber (das ist genau das richtige Wort) nachts ankommt und dann am ersten Morgen erwacht und in einer (modernen) Marina um sich guckt? Antwort: Man möchte als erstes wissen, wie spät es ist. Ein Franzose nebenan gibt uns die Zeit. Und nachdem nun die Uhren 1 Stunde zurückgestellt sind, kann das Leben seinen Lauf nehmen: Aha, ein Wachmann patrouillert auf dem Steg. Was das wohl heissen mag? Also ist wohl Vorsicht geboten.


Zuerst muss ich aber jetzt zum Zoll. Und dies generiert die zweite Frage: Wo ist die Einwanderungsbehörde? Die Antwort weiss Adilson. Den 33jährigen habe ich als lokalen Guide angestellt; und er führt mich nun effizient durch drei Behördenbüros und übersetzt die Fragen der Beamten, die meine bescheidene Anwesenheit in ihrem Land so genau nehmen wie ein Schweizer Notar die Verschreibung einer Liegenschaft. Nach dem Behördengang geht’s zum Supermarkt. Adilson hilft mir, die 100 Liter Mineralwasser tragen, der wichtigste Grund unseres Aufenthalts in seinem Land. Dann geht’s weiter zur Tankstelle, um Diesel aufzufüllen, dann zur Bank, um das Portemonnaie aufzufüllen. Adilson kennt sich aus, ist umsichtig - und erzählt sozusagen nebenbei von seinen Geschwistern (fremdarbeitend in Europa), seinem siebenjährigen Sohn und dass er keinen Fernseher hat zu Hause, weil er sich das nicht leisten kann.
Das Leben in Mindelo wird im Atlanic Crossing Guide als Mischung zwischen Portugal und Afrika geschildert. Mehr Afrika, würde ich sagen. So sehe ich zum erstenmal in meinem bald 59jährigen Leben Frauen, die Sachen auf dem Kopf tragen. Eine von ihnen verkauft feine kleine Pizzen für 10 Escudos, das ist umgerechnet 1 Rappen. Die Bäckerin behandelt ihre Strassenkunden mit grösster Aufmerksamkeit, jeder kriegt für den Preis noch eine kleine Serviette zur Pizza. Und ich rechne schnell nach und komme darauf, dass man für 1 Käschüechli am Bahnhofbuffetkiosk in Zürich hier 250 Pizzen und 250 Servietten kriegen würde. Wie machen das solche Gewerblerinnen finanziell, wenn sie 1 Rappen bekommen und davon noch die Zutaten (Mehl, Hefe, Zwiebeln, Tomaten etc) berappen müssen? Ich weiss es nicht, aber ich finde: Man könnte nach der Steuergerechtigkeitsinitiative mal eine Pizzagerechtigkeitsinitiative lancieren. Ich wette, es gäbe ein weltweites Ja und kein Nein wie am letzten Sonntag in der Schweiz.