Sonntag, 15. September 2013

Die grösste Schlagzeile des 9. Jahrhunderts

Als ich aus dem Zug stieg und zusammen mit chinesischen und deutschen Touristen durch die Stadt lief zur bekannten Brücke, die nicht Pont d’Avignon heisst, sondern anders…als ich also in Avignon eintraf, war ich auf die Stadt gefasst, die Brücke, wie gesagt, und die Päpste, welche hier – fern von Rom – für kurze Zeit regierten, weil ihnen Frankreich näher stand als Italien, machtpolitisch gesprochen. Doch das ist keine Geschichte.

Viel interessanter ist die Ausstellung im Palast der Päpste, die den Titel „Les Papesses“ trägt und fünf Künstlerinnen gewidmet ist, die im Prospekt als Päpstinnen der zeitgenössischen Kunst besungen
werden: Camille Claudel ist eine von ihnen, welche ich vor meinem Besuch nicht kannte, wie auch nicht die weiteren vier Frauen.

Doch diese Päpstinnen, so scheint  es mir,  sind nichts anderes als ein kulturpolitisch willkommener, wenn auch gewundener Anlass, damit die Stadt Avignon im Jahre 2013  die wirklich erstaunliche, die umwerfende, die ganz grosse Geschichte erzählen kann, die innerhalb ihrer mittelalterlichen Gemäuer passiert ist, die Geschichte von Papst „Johannes Anglicus“, einer Person, die im 9. Jahrhundert gelebt hat und verehrt wurde. Johannes hatte ein grosses Charisma und ist schliesslich Papst geworden.

Und nun, liebe Leserinnen und Leser, wird folgendes bekannt:

Der Papst
ist
schwanger!

 Kann man sich eine grössere Schlagzeile vorstellen?

Falls nein: Wie hat die Oeffentlichkeit des 9. Jahrhunderts auf die News reagiert?

Antwort: Erstaunlich cool, wie die Fortsetzung der Geschichte zeigt.

 Die Päpstin Jeanne, wie Johannes Anglicus nun genannt wird, bringt in aller Oeffentlichkeit ihr Kind zur Welt, was uns sagt, dass die Geburt in der Geschichte der Menschheit nicht immer ein privates Ereignis zwischen Hebamme, Kindsmutter und fortschrittlichen Vätern plus dem Kind gewesen ist.

Doch dies nur nebenbei.

Denn mit der Mitteilung über die öffentliche Geburt  ist erst die halbe Geschichte erzählt. Es kommt nun eine zweite und wirklich schreckliche Nachricht:

Jeanne und ihr Kind
 sterben
 bei dem öffentlichen Akt.

Von dem Geschehen gibt es sogar Bilder. Heute wären sie verpixelt, doch das gab es damals noch nicht, und so können wir im 21. Jahrhundert das Kind sehen, das im 9. Jahrhundert gerade geboren worden ist, aber nicht lange zu leben hat.

Es ist von einer Menge Leute umgeben, die irgendwie an der Stätte der Geburt zu tun haben. Sie wirken alle sehr gefasst,  es gibt keine Aufgeregtheit, sondern eher so etwas wie eine feierliche Ruhe.

Soweit mein Eindruck.

Problematisch erscheint mir nun die Aufarbeitung des Geschehens. Denn wir Medienkonsumenten des  9. Jahrhunderts werden gut 1100  Jahre später mit  der Erklärung gefüttert,  es handle sich bei der Päpstin Jeanne und ihrem Kind  um eine Legende. Also erfunden.

Eine clevere Leistung moderner Kommunikationsprofis, muss ich sagen. Wobei mit modern das 14. Jahrhundert gemeint ist, denn seither hält sich hartnäckig die Legende von der Legende.

Ich will die Begründungen (auf Wikipedia) nicht zitieren, die die Nachricht von einer Niederkunft der Päpstin als haltlose Erfindung brandmarken. Sie ähneln mit ihren schwer überprüfbaren Quellenangaben sehr den Texten, die wir heutzutage täglich aus Politküchen vorgesetzt bekommen.

Für mich selbst ist klar:
-          Die Päpstin Jeanne hat gelebt.
-          Sie hat in Avignon ein Kind zur Welt gebracht.  
Es war die grösste Schlagzeile des 9. Jahrhunderts.

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