Dienstag, 15. Februar 2011

"Wir beneiden Euch"

Oft schreiben uns Bekannte, dass sie das Leben auch mal so geniessen wollten wie wir auf unserem Boot hier in der Karibik - und dass sie uns beneiden würden. Auf den ersten Blick ist klar, was darunter zu verstehen ist: Tagsüber irgendwann durch einen lokalen Markt zu spazieren und die schönsten exotischen Früchte auswählen, abends dann im Cockpit des Bootes sitzen in einer ruhigen Ankerbucht und dem Sonnenuntergang zuschauen. Und anderntags mit gutem Wind und wenig Wellen weiter segeln.

Doch neben solchem offenkundigen Genuss gibt es eine weitere Kategorie, bei der nicht so offensichtlich ist, um was genau man uns beneiden sollte. Gestern musste ich mit unserem Lastrolli und leeren Bidons Diesel holen gehen, kurvte dann auf dem Heimweg entlang einer viel befahrenen Strasse mit den 60 Litern um Wasserpfützen herum und spürte meinen Tennis-Ellbogen sowie die Abgase der Lastwagen. Heute nun warten wir auf einen Handwerker, der unser Dinghy reparieren könnte. Falls die Kosten dafür einigermassen im Rahmen liegen. Sonst würde ich es selber versuchen.

Was ist bei diesen Beschäftigungen bzw. dem Warten nun der Lebensgenuss? Die Antwort ist nicht so offenkundig wie beim Sonnenuntergang. Zu beneiden bin ich beim Dieselschleppen vor allem deshalb, weil die Mühsal bei 25 Grad im Schatten stattfindet und nicht bei Schneegestöber und Glatteis. Das Warten auf den Handwerker überbrücke ich mit Lektüre über Reparaturen von Gummibooten und lerne Neues über Materialien, die ich bisher nicht kannte (Hyphalon). Das ist unterhaltend und interessant. Und weil der Handwerker immer noch nicht kommt, lese ich in einem Roman weiter, was ich mir an einem gewöhnlichen Nachmittag unter der Woche als Arbeitnehmer nicht hätte leisten können. Ueberhaupt: Zeit zu haben, ist vielleicht das beste. Früher hätte mich eine Wartezeit am Zoll aufgeregt. Heute setze ich mich in Soufriere auf die Treppe und gucke eine halbe Stunde lang, was alles abgeht auf der Strasse.

An diesen Beispielen wird vielleicht klarer, was der Lebensgenuss sein könnte: Wir tun alles, was wir tun, aus eigenem Antrieb, nicht weil wir müssen, nicht weil es zum Job gehört und wir einen Chef im Nacken haben. Dass wir nach mühseliger Seglerei und Stampfen in den Wellen oft erschöpft sind, ist natürlich kein Genuss. Auch Dieselschleppen nicht und irgendwelche Wartereien für sich genommen auch nicht. Aber alles zusammen ist Teil eines höchst abwechslungsreichen Alltags, den wir selber bestimmen und in welchem wir eigentlich keinem Druck und keinen Zwängen ausgesetzt sind. Das ergibt unter dem Strich jenes Leben, um das uns andere Menschen vielleicht manchmal beneiden.

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