Eine Kurzgeschichte zur Ankunft auf der Azoren-Insel
Vorbemerkung: Handlungen und Personen in der untenstehenden Geschichte sind frei erfunden. Nichts ist so geschehen oder wurde so erlebt. A work of fiction - leider...
Wir segelten auf
einem nordöstlichen Kurs knapp 20 Meilen vor der Insel Flores. Die Abendsonne stand noch hoch am
Himmel. Ich rechnete damit, dass wir nach Sonnenuntergang bald das Feuer des
Leuchtturms von Lajes sehen würden und wollte nun noch einmal die Position checken. Doch
das GPS-Gerät sagte mir „No satellites available“. Diese Anzeige hatte ich noch
nie bekommen; ich machte ein Reset des Geräts – mit dem gleichen Ergebnis: keine Satelliten
am Himmel.
So kurios der Ausfall des GPS, so machte ich mir dennoch keine Sorgen: der Leuchtturm würde mir den Weg weisen. Und so war es: Kurz vor Mitternacht legte ich im Hafen von Lajes an, gleich neben zwei wunderschönen klassischen Jachten, wohl hundertjährige Boote, aber in bestem Zustand.
Es herrschte
erstaunlicherweise Hochbetrieb in dem kleinen Frachthafen. Im hellen Licht von
Fackeln wurde ein, wie es schien,
ziemlich betagter Frachter beladen. Als ich auf der Hafenmole entlang ging, um
mir etwas die Beine zu vertreten, kam mir ein zweispänniges Fuhrwerk entgegen, dessen Fuhrmann schliesslich seine beiden Pferde mit einem lauten „Heyiii“ neben dem
kleinen Frachter zum Stoppen brachte. Zwei herumstehende Männer machten sich ohne Verzug daran, eine riesige Kiste und ein Fass auf das
Schiff zu verladen.
Ganz schön in alten Zeiten, die Insel, dachte ich und trat zu
einem der Männer hin.
- „Noch nicht Feierabend?“ sagte ich.
- „Nein, das Schiff ist verspätet und sollte so rasch als möglich hier ablegen. Nach Antwerpen…“ , fügte er bei.
-„Nach Belgien?“
- „Ja, wir schicken Wein und Käse zur Weltausstellung
von Gent. Unser Beitrag. Wir hoffen wieder auf eine Medaille.“
Ich hatte gedacht, Weltausstellungen seien längst passé.
- „Gibt’s wieder Weltausstellungen?“, fragte ich den Mann.
- „Was heisst „Wieder“,
die letzte war erst vor zwei Jahren und dann auch 1910 in Brüssel. Wir waren immer dabei als kleine Insel - und hatten gute Klassierungen.“
Komischer Vogel mit seinen Zeitangaben, dachte ich und
sagte:
- „Gibt’s hier irgendwo
ein Cafe, das noch offen ist. Ihre Männer müssen ja auch noch was essen
nach der Arbeit.“
- „Gehen Sie die Strasse hoch; gleich neben der Post.“
Ich eilte die dunkle Strasse hoch, sah bald einmal zwei erleuchtete Fenster und trat in die
Gaststube ein, ging direkt an die
Bar und fragte, ob es Wlan gebe für mein
Smartphone oder ich sonst irgendwie ein
Mail oder eine SMS verschicken könne.
Die Wirtin sagte , sie wisse nicht richtig, was ich meine, doch falls ich etwas versenden wolle, dann gebe es seit einiger Zeit einen Telegraphen gleich vis-à-vis auf der Post.
Ich musste lachen, entschloss mich aber gutgelaunt, auf den Vorschlag einzugehen
- „Kann man um diese Zeit denn noch ein Telegramm aufgeben bei Ihnen?“
- „Ja“, sagte die Frau, „ mein Mann betreibt das Postamt; er
sitzt dort drüben“, sie zeigte auf eine
Gruppe von Kartenspielern.
Enrico, so hiess der Telegraphist, war gerne bereit, das
Postbüro zu der späten Stunde zu öffnen. Er hiess mich, in den Schalterraum
einzutreten, und machte sich hinter dem Tresen mit einem Formular zu schaffen.
- „An wen soll das Telegramm gehen?“
-„An meine Schwägerin in Luzern“,
sagte ich und gab ihm die Adresse. Und dann sprach ich, nachdem die Angaben notiert waren, auf Geheiss des Telegraphisten langsam
den Text, der zu telegraphieren wäre: „Gut angekommen stop.
Melde mich wenn ausgeruht stop Thomas.“
Der Kartenspieler/Telegraphist notierte sich die Wörter in der für ihn fremden Sprache und setzte sich schliesslich mit dem Formular an sein Gerät, morste
Buchstabe um Buchstabe mit einem lauten
Klicken, das als klickediklick in einem
Kabel tief im Ozean in die Welt hinaus gehen sollte. Als der Text behende gesendet war, sagte er: „Sie
kommen aus Amerika, nichtwahr. Was sagt
man denn dort: Wird es Krieg geben?“
-„Zu den Kriegen in Afghanistan und Irak ein dritter Krieg?“,
frage ich zurück.
Er guckte mich an und
meinte:
- „ Afghanistan…Amerika soll sich zur Neutralität verpflichten, hat Wilson gesagt….“
Nun dämmerte mir langsam, dass ich in einer Art Geschichtsinszenierung
gelandet sein musste: Die klassischen Jachten im Hafen, das Fuhrwerk, die Weltausstellung, der Telegraph - und ein Präsidentschaftskandidat namens Woodrow Wilson, der 1913 zum US-Präsidentenm gewählt würde.
- „Sagen Sie mal, findet hier eine Retro-Show statt? Und ich
soll nun sagen: ,Holt mich hier raus!‘“
-„Wie meinen Sie?“
- „Eine TV-Show zum ersten Weltkrieg?“
-„Sie denken, dass es Krieg geben wird.“
-„Ja er wird vier Jahre dauern“, sagte ich. Ich hatte
beschlossen mitzuspielen in der historischen Kulisse. „Und 1939 wird ein
zweiter Weltkrieg beginnen…“
Der Telegraphist war für einen Moment sprachlos: „Wie können
Sie es wagen…“, er wandte sich zornig ab. „Sie sind ein Pessimist, und Sie sind
ein Unglücksbringer. Gehen Sie! “ Er war ausser sich.
Ich ging zurück zu meinem Boot, versuchte erneut, mit
dem Handy eine SMS an meine Schwägerin zu senden, doch: es gab keinen Verbindungsaufbau,. Jetzt musste ich auf einmal wie wahnsinnig lachen: Klar,
ist ja 1912, da gibt’s nur das Kurbeltelephon und das Telegramm. Ich lachte, verschluckte mich, musste husten, und lachte wieder - dann legte ich mich in meine Koje. Ein grosser Druck war dank dem Lachanfall von
mir abgefallen.
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Am Morgen riss mich das Klingeln meines Handys aus dem
Schlaf. Auf dem Display sehe ich den
Namen meiner Schwägerin, einer mitten im Leben stehenden Frau.
-„Was machst du für Sachen“, sagte sie. „Gerade hat mich der Leiter des Verkehrshauses
in Luzern angerufen. Die haben ein
Telegramm erhalten von Dir…“
-„Wie das“, sagte ich vorsichtig, nicht wissend, was sie vom gestrigen Abend wüsste, der mir in meinem
vagen Wachzustand nun langsam wieder bewusst wurde.
- „Die haben für Schulklassen und so einen alten Apparat und
der ist an eine Uebertragungsleitung angeschlossen, die noch von der PTT stammt, hat
mir der Mann vom Verkehrshaus gesagt. Und da ist also ein Telegramm von Dir für
mich eingegangen in der Nacht.“
Ich sagte nichts. Und
da setzte meine Schwägerin nach: „Sag mal, warum schickst Du keine SMS oder ein
Mail…warum ein Telegramm?“
Ich beschloss, in die
Offensive zu gehen: „Ich hatte keine Verbindung auf dem Handy gestern und da
war ein Telegraphist in einer Kneipe und bot an, den Text zu telegraphieren –
wie früher.“
Meine Schwägerin lachte herzlich: „Ganz genau ,wie früher'.“, sagte
sie, die Ironie in ihrer Stimme war unüberhörbar. „Und weisst Du was: Das Telegramm trug das Datum vom 15. Juni 1912.“
„ Ach“, sagte ich und meine Stimme klang etwas unsicher ,“
da muss jemand aber etwas total falsch mitbekommen haben.“
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Nach dem Gespräch beschloss ich, der Sache resolut auf den Grund
zu gehen, verliess das Boot und ging erneut der Hafenmole entlang, wo gerade die
Autofähre aus Horta am Quai andockte. Ich fand die Bar und gegenüber das
Postamt. Hinter dem Schalter sortierte ein junger Mann Briefe.
- „Guten Tag, entschuldigen Sie, aber gab‘s hier mal einen
Telegraphen?“
- „Ja“, sagte der Mann, „mein Grossvater war Telegraphist. Und mein Vater hat 1992 das
letzte Telegramm verschickt.“ Er trat an ein Pult, wo an der Wand zwei
Bilder hingen.
- „Hier ein Foto meines Vaters“, sagte der Beamte. Wie sich Vater und Sohn ähnlich sehen, dachte
ich, als ich die Bilder des jungen und des älteren Pöstlers betrachtete. Und dann nahm mein Gegenüber das
zweite Bild von der Wand: „Und das ist mein Grossvater.“
Von dem Schwarzweissfoto blickten mich die dunklen Augen des
Mann an, der gestern mein Telegramm aufgesetzt und nach Luzern gesendet hatte.. Er trug auf dem Foto
die gleiche Nickelbrille wie gestern, und auch die grauen
Haare waren streng nach
hinten gekämmt . Das Photo zeigte meinen
Telegraphisten allerdings um ein paar Jahre jünger als ich ihn kennen gelernt hatte.
- „Ist Ihnen nicht gut“, frage der Pöstler plötzlich.
-„Neinein, alles ok.
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Ich ging zum Segelboot zurück, und tippte die Wörter Weltausstellung und Gent in
das Google-Suchfeld. Dann schaltete ich
das GPS-Gerät ein und erhielt nach
wenigen Sekunden die Position von Flores.
Ich machte Kaffee und
beschloss, die Geschichte aufzuschreiben, so wie ich sie erlebt hatte – ohne etwas
hinzuzufügen oder etwas wegzulassen.
Ich
weiss auch jetzt nicht, da ich diesen Text wieder lese, ob
das, was mir passiert ist, ein übler Trick war, eine aufwändige Inszenierung eines internationalen TV-Unterhaltungskonzerns, oder nur eine
Täuschung meiner Sinne - als Folge von Müdigkeit nach einer langen Seereise .
Vielleicht aber, und das kann nicht ausgeschlossen werden, habe ich nach der Ankunft in Flores und nach 1656 Meilen auf
dem offenen Meer wirklich eine Zeitreise gemacht.
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Siehe auch: Woody
Allen: “Midnight in Paris“.